22. April 1986. Zwischen Werder und Bayern steht es 0:0. Michael Kutzop tritt zum Elfmeter an. Trifft er, ist Bremen Meister.
Irgendwie schon hart: Ich habe in der 1. und 2. Liga über 40 Elfmeter verwandelt, doch mein einziger Fehlschuss bleibt hängen. Viele Leute behaupten, ohne den vergebenen Elfer gegen die Bayern würde mich kein Mensch mehr kennen. Keine Ahnung, ob das stimmt.
Tatsache ist, dass ich heute noch höre, wie der Ball an den Pfosten klatscht. Wäre er rein gegangen, hätten uns die Bayern nicht mehr einholen können. Jonny Otten hat später mal im Scherz gemeint, ich hätte ihn um eine Eigentumswohnung gebracht…
Viel Zeit zum Nachdenken
Wer weiß, ob es jemals wieder so eine Konstellation wie am 33. Spieltag der Saison 1985/86 geben wird: Wir hatten vor dem Heimspiel gegen die Münchner zwei Punkte Vorsprung, es galt noch die Zwei-Punkte-Regelung. Bis zur 88. Minute stand es 0:0, dann setzte sich Rudi Völler auf der rechten Seite durch. Er flankte nach innen und traf Søren Lerby. Rudi meinte nach dem Spiel, es sei kein Elfmeter gewesen.
Schiedsrichter Volker Roth sah aber ein Handspiel und pfiff. Danach war der Ball erst mal weg, Bayerns Co-Trainer Egon Cordes hatte ihn aus Wut weggedroschen. Einen Ersatzball gab es nicht. Angeblich hat es 15 Minuten gedauert, bis die Kugel endlich auf dem Punkt lag, ich weiß aber nicht, ob das stimmt.
Mir kam es jedenfalls wie eine halbe Ewigkeit vor. Vielleicht hatte ich zu viel Zeit zum Nachdenken. Die Bayernspieler zogen die üblichen Mätzchen ab, sie sagten mir nette Sachen ins Ohr und traten mir auf die Füsse, aber das gehört ja irgendwie dazu.
„Michael, Sie genießen mein volles Vertrauen“
Endlich war der Ball da. Ich lief langsam an, verzögerte und schickte den Jean-Marie Pfaff in die falsche Ecke. Ich machte fast alles richtig, aber leider nur fast: Pfosten. Was danach passiert ist, weiß ich nicht mehr genau. Das war wie ein Filmriss. Ich erinnere mich noch, dass mich Bruno Pezzey ins Mittelfeld geschickt hat und für mich die Manndeckung von Dieter Hoeneß übernahm. Wahrscheinlich dachte Bruno, dort könne ich weniger anrichten, denn ich lief herum wie Falschgeld.
Nach dem Spiel kam Rudi mit seiner damaligen Frau zu mir nach Hause. Wir tranken ein Frustbier, und Angela machte etwas zu essen. Aber ich bekam keinen Bissen runter, ich fühlte mich furchtbar. Eigentlich war danach ja immer noch alles drin, wir mussten in Stuttgart nur einen Punkt holen. Doch ich hätte schon alles klar machen können, und nun hatte ich ein schlechtes Gefühl. Tatsächlich haben wir das letzte Spiel in Stuttgart mit 1:2 verloren.
Die Bayern gewannen dagegen 6:0 gegen Gladbach und wurden wegen des besseren Torverhältnisses Meister. Es gab damals keine Vorwürfe, weder von den Mitspielern noch vom Trainer oder den Fans. „Michael, Sie genießen mein volles Vertrauen“, sagte mir Otto Rehhagel. „Wenn es wieder einen Elfmeter gibt, dann schießen Sie den.“ Was ich in der folgenden Saison auch tat.
Ein Witz unter Freunden
Beim Saisonabschluss hat Otto Rehhagel meinen Vertrag zerrissen – aus Spaß. Anschließend ging es mit Werder auf eine Weltreise. Das hat mir gut getan, ich hatte einen totalen Durchhänger. Nach der Rückkehr nervten ein paar besonders witzige Bayern-Fans, die sich am Telefon immer wieder für den verschossenen Elfmeter bedankten. Ich ließ mir eine neue Nummer geben. 1988 bin ich mit Werder doch noch Meister geworden, Rudi Völler hat da schon beim AS Rom gespielt. „Alles habe ich gewonnen, bloß die Deutsche Meisterschaft nicht, und das nur wegen dir“, muss ich mir gelegentlich von ihm anhören. Dann, wenn er ein, zwei Bier getrunken hat.
Natürlich meint Rudi das nicht ernst, es ist ein Witz unter Freunden. Dieser Elfer gehört zu seiner und meiner Karriere einfach dazu.