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Immer wenn Ata Lameck auch nur mit dem kleinen Zeh die Mit­tel­linie über­querte, wurde das Publikum im Ruhr­sta­dion etwas unruhig. Bleib hinten, Ata!“ Ein beliebter Run­ning Gag auf der Tri­büne. Jedem war klar, dass nicht allzu viel Gutes dabei her­um­kommen konnte, wenn der Ver­tei­diger die geg­ne­ri­sche Hälfte betrat. Aber alle wussten auch: Der Mann da, der mit den unter­schied­lich langen Beinen, der hielt den kleinen grauen Laden hier zusammen.

Das Kapitel des VfL in der Bun­des­liga begann 1971 und ist eine Sisy­phos­ge­schichte: In fast jeder Spiel­zeit brachte man ein, zwei richtig gute Spieler hervor, formte eine solide Mann­schaft, große Hoff­nung kam auf – aber in Bochum war die Kohle knapp und am Ende der Saison musste man die besten Spieler ver­kaufen. So begann alles wieder von Neuem.

Ata war die lahmste Ente“

Nur einer, so scheint es, war immer da. In einer Zeit­spanne, in der in Bochum die letzte Zeche schloss, die Stadt Wat­ten­scheid ein­ge­meindet und das Sta­dion an der Cas­troper Straße zum modernen Ruhr­sta­dion umge­baut wurde, konnte man sich zumin­dest auf Ata Lameck immer ver­lassen. 16 Jahre spielte er für den VfL. Mister Zuver­lässig.

Er hat sich nie gedrückt, war nie krank“, erin­nert sich Erich Klamma, damals gefürch­teter Kon­di­ti­ons­trainer beim VfL. Ata war die lahmste Ente, die ich je trai­niert habe. Aber über 500 Bun­des­li­ga­spiele, die macht ja kein Blinder.“

Ganz im Gegen­teil. Mein Auge war mein Kapital“, sagt Lameck selbst heute. Ich wusste immer schon, was mein Gegen­spieler macht.“ Er las das Spiel wie einen Gro­schen­roman: ohne viel Nach­denken. Mit seinem über­ra­genden Stel­lungs­spiel schal­tete er auch die Größten der Liga aus. Rüdiger Abramczik, sei­ner­zeit einer der besten deut­schen Flü­gel­stürmer und Spieler des FC Schalke 04, habe vor dem Spiel im Spie­ler­tunnel zu ihm gesagt: Ach Ata, wenn ich dich schon wieder sehe. Ich brauche ja gar nicht raus­zu­gehen.“

Ange­fangen hatte Michael Lameck aus Essen das Fuß­ball­spielen als 17-Jäh­riger. Zumin­dest im Verein. Früher wollten seine Eltern das nicht. Gebolzt hat er natür­lich trotzdem, auf der schwarzen Asche vom TuS Essen-West, später auch sein erster Verein. Genau diese Asche brachte ihm seinen Spitz­namen ein: Nur mit dem Scheu­er­mittel Ata“ konnte seine Mutter ihn nach dem Pöhlen sauber schrubben.

Lameck wäre keiner für Skill-Com­pi­la­tions auf You­Tube. Ata Lameck Skills & Goals“, unter­legt mit einem ner­vigen DJ-Remix, eine gro­teske Vor­stel­lung. Nein, Ata Lameck läuft für Elf ohne zu schwitzen, reißt seine Mit­spieler mit und ist Takt­geber, wenn auch kein fili­granes Metronom im Stile spä­terer Spie­ler­typen wie Andrea Pirlo oder Xavi, mehr ein dau­er­spre­chender Rekom­man­deur auf der größten Bochumer Kirmes, dem VfL, mit dem Voka­bular eines typi­schen Malo­chers: Ackern!“, Gas geben!„, sich einen gewissen Teil des Kör­pers weit auf­reißen.

Spek­ta­ku­läre Nie­der­lagen

1972 weihte der VfL sein neues Flut­licht ein, der Gegner: Borussia Mön­chen­glad­bach. Vogts, Netzer und Co waren sie­ges­si­cher. Dann haben die natür­lich drei Stück von uns gekriegt“, erin­nert sich Lameck. Vier Jahre später lagen die Bochumer im eigenen Sta­dion mit vier Toren gegen die Bayern vorne, nur um dann noch legendär mit 5:6 zu ver­lieren.

Nie­der­lagen gehören zu Lamecks unver­gess­li­chen Höhe­punkten, machen einen nicht unwe­sent­li­chen Teil seiner Kar­riere aus. Aber wir haben es immer geschafft. Dort­mund war mal in der zweiten Liga, Schalke war mal in der zweiten Liga. Und wir waren dar­über. Das ver­gisst man heute.“

Der kleine Klub blieb stets im Kreise der 18 besten Ver­eine Deutsch­lands, ange­führt von einem Mann, der für Bochum die gleiche Bedeu­tung hatte wie Kaiser Franz für die Bayern aus Mün­chen, nur boden­stän­diger, statt Palast in Kitz­bühel und Kor­rup­ti­ons­skandal ein Haus in Bochum-Linden und allen­falls mal eine durch­zechte Nacht. Aus den Jungs aus dem gal­li­schen Dorf zwi­schen Dort­mund und Gel­sen­kir­chen wurden die Unab­steig­baren“ und aus Lameck eine lebende Legende.

Wenn heute im Ruhr­sta­dion Halb­zeit ist und der Sta­di­on­spre­cher mit ein paar Ord­nern lus­tige Spiel­chen vor­be­reitet, läuft ein Wer­be­spot auf den Lein­wänden. In der Haupt­rolle: Ata Lameck. Er sitzt im Bade­mantel in einer schlichten Woh­nung und hat ein Pro­blem, er kann nicht duschen. Dabei wollte er doch eigent­lich gleich zum VfL. Also lässt Ata einen Bochumer Sani­tär­dienst kommen. Schön, dasse da bis’, komm rein, wir müssen Gas geben.“

Der Spot sieht in etwa so wenig auf­wendig gedreht aus wie die Ziga­retten von zwei heim­lich in der Fünf­mi­nu­ten­pause rau­chenden Neunt­kläss­lern. Und trotzdem läuft die Wer­bung schon seit einigen Jahren in jeder Halb­zeit­pause bei Heim­spielen des VfL. Lameck ist die ideale Wer­be­figur: Jeder kennt ihn, jeder mag ihn. Er ist ein Ur-Bochumer, den jeder schon einmal auf der Straße getroffen und ange­quatscht hat. Wenn man mit ihm redet, hat man das Gefühl, ihn schon ein Leben lang zu kennen.

Noch heute ist Lameck fast jeden Tag auf dem Gelände des Ruhr­sta­dions. Nach seiner Zeit auf dem Rasen trai­nierte er hier Jugend­mann­schaften und die Ama­teure. Er kennt jeden Namen, vom Fan­shop-Mit­ar­beiter bis zum Licht­tech­niker. Kurzum: Kein Spieler ist so sehr mit diesem Verein ver­bunden wie Ata.

Die Pythia aus dem Pott

Bei­nahe wäre er ja in Ams­terdam gelandet. Auf einem Tur­nier der Nie­der­rhein­aus­wahl hatte ein Ajax-Scout den talen­tierten 18-Jäh­rigen ent­deckt und wollte ihn ver­pflichten. Kurz zuvor hatte Lameck aller­dings bei Schwarz-Weiß Essen unter­schrieben. Da wäre ich natür­lich hin. Ich hätte mit Cruyff zusam­men­ge­spielt. Das wäre ne Bombe gewesen.“

Man muss es sich vor­stellen: Der Pytha­goras des Fuß­balls zusammen mit, naja, so etwas wie der Pythia aus dem Pott, Ata Lameck, zu dem zwar nicht Apollon beim Orakel von Delphi aber doch irgend­eine höhere Macht auf dem Platz gespro­chen haben muss: Hömma, der Ball kommt gleich zum Rum­me­nigge, den musse dir schnappen. Gib Gas, Junge! Ackern!“