Michael „Ata“ Lameck ist der VfL Bochum in Person. Heute wird der Rekordspieler des Ruhrpottvereins 70 Jahre alt. Wie er die Bochumer „unabsteigbar“ machte, welchen Stürmern er auf die Nerven ging und weshalb er fast mit Johan Cruyff zusammen gespielt hätte.
Immer wenn Ata Lameck auch nur mit dem kleinen Zeh die Mittellinie überquerte, wurde das Publikum im Ruhrstadion etwas unruhig. „Bleib hinten, Ata!“ Ein beliebter Running Gag auf der Tribüne. Jedem war klar, dass nicht allzu viel Gutes dabei herumkommen konnte, wenn der Verteidiger die gegnerische Hälfte betrat. Aber alle wussten auch: Der Mann da, der mit den unterschiedlich langen Beinen, der hielt den kleinen grauen Laden hier zusammen.
Das Kapitel des VfL in der Bundesliga begann 1971 und ist eine Sisyphosgeschichte: In fast jeder Spielzeit brachte man ein, zwei richtig gute Spieler hervor, formte eine solide Mannschaft, große Hoffnung kam auf – aber in Bochum war die Kohle knapp und am Ende der Saison musste man die besten Spieler verkaufen. So begann alles wieder von Neuem.
„Ata war die lahmste Ente“
Nur einer, so scheint es, war immer da. In einer Zeitspanne, in der in Bochum die letzte Zeche schloss, die Stadt Wattenscheid eingemeindet und das Stadion an der Castroper Straße zum modernen Ruhrstadion umgebaut wurde, konnte man sich zumindest auf Ata Lameck immer verlassen. 16 Jahre spielte er für den VfL. Mister Zuverlässig.
„Er hat sich nie gedrückt, war nie krank“, erinnert sich Erich Klamma, damals gefürchteter Konditionstrainer beim VfL. „Ata war die lahmste Ente, die ich je trainiert habe. Aber über 500 Bundesligaspiele, die macht ja kein Blinder.“
Ganz im Gegenteil. „Mein Auge war mein Kapital“, sagt Lameck selbst heute. „Ich wusste immer schon, was mein Gegenspieler macht.“ Er las das Spiel wie einen Groschenroman: ohne viel Nachdenken. Mit seinem überragenden Stellungsspiel schaltete er auch die Größten der Liga aus. Rüdiger Abramczik, seinerzeit einer der besten deutschen Flügelstürmer und Spieler des FC Schalke 04, habe vor dem Spiel im Spielertunnel zu ihm gesagt: „Ach Ata, wenn ich dich schon wieder sehe. Ich brauche ja gar nicht rauszugehen.“
Angefangen hatte Michael Lameck aus Essen das Fußballspielen als 17-Jähriger. Zumindest im Verein. Früher wollten seine Eltern das nicht. Gebolzt hat er natürlich trotzdem, auf der schwarzen Asche vom TuS Essen-West, später auch sein erster Verein. Genau diese Asche brachte ihm seinen Spitznamen ein: Nur mit dem Scheuermittel „Ata“ konnte seine Mutter ihn nach dem Pöhlen sauber schrubben.
Lameck wäre keiner für Skill-Compilations auf YouTube. „Ata Lameck Skills & Goals“, unterlegt mit einem nervigen DJ-Remix, eine groteske Vorstellung. Nein, Ata Lameck läuft für Elf ohne zu schwitzen, reißt seine Mitspieler mit und ist Taktgeber, wenn auch kein filigranes Metronom im Stile späterer Spielertypen wie Andrea Pirlo oder Xavi, mehr ein dauersprechender Rekommandeur auf der größten Bochumer Kirmes, dem VfL, mit dem Vokabular eines typischen Malochers: „Ackern!“, „Gas geben!„, sich einen gewissen Teil des Körpers weit aufreißen.
Spektakuläre Niederlagen
1972 weihte der VfL sein neues Flutlicht ein, der Gegner: Borussia Mönchengladbach. Vogts, Netzer und Co waren siegessicher. „Dann haben die natürlich drei Stück von uns gekriegt“, erinnert sich Lameck. Vier Jahre später lagen die Bochumer im eigenen Stadion mit vier Toren gegen die Bayern vorne, nur um dann noch legendär mit 5:6 zu verlieren.
Niederlagen gehören zu Lamecks unvergesslichen Höhepunkten, machen einen nicht unwesentlichen Teil seiner Karriere aus. „Aber wir haben es immer geschafft. Dortmund war mal in der zweiten Liga, Schalke war mal in der zweiten Liga. Und wir waren darüber. Das vergisst man heute.“
Der kleine Klub blieb stets im Kreise der 18 besten Vereine Deutschlands, angeführt von einem Mann, der für Bochum die gleiche Bedeutung hatte wie Kaiser Franz für die Bayern aus München, nur bodenständiger, statt Palast in Kitzbühel und Korruptionsskandal ein Haus in Bochum-Linden und allenfalls mal eine durchzechte Nacht. Aus den Jungs aus dem gallischen Dorf zwischen Dortmund und Gelsenkirchen wurden die „Unabsteigbaren“ und aus Lameck eine lebende Legende.
Wenn heute im Ruhrstadion Halbzeit ist und der Stadionsprecher mit ein paar Ordnern lustige Spielchen vorbereitet, läuft ein Werbespot auf den Leinwänden. In der Hauptrolle: Ata Lameck. Er sitzt im Bademantel in einer schlichten Wohnung und hat ein Problem, er kann nicht duschen. Dabei wollte er doch eigentlich gleich zum VfL. Also lässt Ata einen Bochumer Sanitärdienst kommen. „Schön, dasse da bis’, komm rein, wir müssen Gas geben.“
Der Spot sieht in etwa so wenig aufwendig gedreht aus wie die Zigaretten von zwei heimlich in der Fünfminutenpause rauchenden Neuntklässlern. Und trotzdem läuft die Werbung schon seit einigen Jahren in jeder Halbzeitpause bei Heimspielen des VfL. Lameck ist die ideale Werbefigur: Jeder kennt ihn, jeder mag ihn. Er ist ein Ur-Bochumer, den jeder schon einmal auf der Straße getroffen und angequatscht hat. Wenn man mit ihm redet, hat man das Gefühl, ihn schon ein Leben lang zu kennen.
Noch heute ist Lameck fast jeden Tag auf dem Gelände des Ruhrstadions. Nach seiner Zeit auf dem Rasen trainierte er hier Jugendmannschaften und die Amateure. Er kennt jeden Namen, vom Fanshop-Mitarbeiter bis zum Lichttechniker. Kurzum: Kein Spieler ist so sehr mit diesem Verein verbunden wie Ata.
Die Pythia aus dem Pott
Beinahe wäre er ja in Amsterdam gelandet. Auf einem Turnier der Niederrheinauswahl hatte ein Ajax-Scout den talentierten 18-Jährigen entdeckt und wollte ihn verpflichten. Kurz zuvor hatte Lameck allerdings bei Schwarz-Weiß Essen unterschrieben. „Da wäre ich natürlich hin. Ich hätte mit Cruyff zusammengespielt. Das wäre ’ne Bombe gewesen.“
Man muss es sich vorstellen: Der Pythagoras des Fußballs zusammen mit, naja, so etwas wie der Pythia aus dem Pott, Ata Lameck, zu dem zwar nicht Apollon beim Orakel von Delphi aber doch irgendeine höhere Macht auf dem Platz gesprochen haben muss: „Hömma, der Ball kommt gleich zum Rummenigge, den musse dir schnappen. Gib Gas, Junge! Ackern!“