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Seite 2: „Jetzt bist du der Größte!“

Wir haben Ihnen was mit­ge­bracht: Die LP von Fuß­ball ist unser Leben – Es singt die deut­sche Fuß­ball-Natio­nal­mann­schaft für die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft 1974“. Waren Günter Netzer, Franz Becken­bauer und Co. die ersten deut­schen Fuß­ball-Pop­stars?
Zuerst einmal: Singen konnten die alle nicht. Ich kenne über­haupt nur einen Fuß­baller, der musi­ka­lisch begabt war: Petar Raden­kovic. Radi, der König! Ich glaube, Netzer und Becken­bauer hatten nie die Moti­va­tion, sich als Pop­stars zu insze­nieren. Das haben die Medien über­nommen. Ende der Sech­ziger wurde im Westen das Farb­fern­sehen ein­ge­führt, 1972 wurde die BRD-Aus­wahl Europa‑, 1974 Welt­meister. Plötz­lich inter­es­sierte sich ein Mas­sen­pu­blikum für Fuß­ball. Und die Kicker, ob sie wollten oder nicht, wurden auf einmal zu glit­zernden Stars gemacht.

Günter Netzer hat im 11 FREUNDE-Spe­zial Rebellen“ zuge­geben, dass seine Frau für seine berühmte Mähne ver­ant­wort­lich war. Er selbst hätte es bei einem eher unpo­pu­lären Fas­son­schnitt belassen.
Siehste! Die Fuß­baller hatten nie wirk­lich Ambi­tionen, als Pop­stars durch­zu­gehen. Man hat sie dazu gemacht.

Im Ver­gleich zu den Fuß­bal­lern aus der Bun­des­liga wirkten die Spieler aus der DDR maus­grau. War der Osten wirk­lich so trist?
Natür­lich nicht! Aber die Bericht­erstat­tung unter­schied sich ekla­tant. Kurz nach der Wende bekam ich einen Anruf von einem Jour­na­listen: Herr Mentzel, wir kommen zu Ihnen nach Hause!“ Ich: Warum das denn?“ Er: Für eine Home­story!“ Ich: Was is’n ditte?“ So was kannten wir ja alles gar nicht.

Kurze Pause.

Ment­zels Frau stellt Lasagne auf den Tisch. Den Foto­grafen lacht er aus, weil der sich nur eine kleine Por­tion auf den Teller löf­felt. Achim Mentzel ist klein, dick, trägt Schnauzer, Minipli (Zitat Mentzel: Das sind Natur­lo­cken!“), und wenn er lacht, dann sieht das aus, als wenn ein Clown kleine Kinder erschre­cken möchte. Man kann diesen Mann so wun­derbar ein­fach unter­schätzen. Dabei liest sich seine Vita auf­re­gender als jede Rock’n’Roller-Biografie: Als die Beatles und die Rol­ling Stones die west­liche Welt im Sturm eroberten, grün­dete der 1946 in Berlin gebo­rene Mentzel 1963 das Diana Show Quar­tett“ und zog, die ver­pönten West-Hits sin­gend, durch die DDR. 1972 blieb er nach einem Auf­tritt mit dem Alfons-Won­ne­berg-Sex­tett“ in West-Berlin. Der Haupt­grund: Ich hatte gerade Mist bei meiner zweiten Frau gebaut.“ Repu­blik­flucht wegen Sei­ten­sprung – mehr Rock’n’Roll ging in der DDR nicht. Auf dem Arbeitsamt der erste Dämpfer für den Künstler: Als ich dem Mann vom Amt meinen Beruf nannte, sagte der nur: ›Gaukler und Fal­len­steller haben wir hier genug!‹“ Mentzel ver­dingte sich als Schweißer von Aus­puff­an­lagen. Nach wenigen Monaten zog es ihn wieder hinter den Eisernen Vor­hang. Die Appa­rat­schiks zeigten sich ver­gleichs­weise milde und ver­don­nerten den Musiker zu einer Bewäh­rungs­strafe. Später lernte er die junge Nina Hagen kennen und zog mit ihr durchs Land. In den Acht­zi­gern machte sich Mentzel, längst einer der bekann­testen DDR-Schla­ger­barden, als Solist einen Namen und sang Ver­eins­hymnen für Energie Cottbus und Union Berlin ein. Nur wenige Wochen vor dem Mau­er­fall fei­erte Achims Hit­pa­rade“ Pre­miere – eine Schla­ger­sen­dung, die bis 2006 auf Sen­dung blieb. Und meine Exis­tenz sicherte“, wie Mentzel heute sagt. Die Lasagne ist auf­ge­gessen. Es gibt Kir­schen aus dem Garten der Freundin seines Sohnes.

Das Inter­view geht weiter.

Was ist eigent­lich schöner: Vor 5000 Zuschauern ein Tor zu schießen und im Jubel zu baden oder 5000 Zuschauer beim Kon­zert zum Kochen zu bringen?
Das nimmt sich nicht viel. Und da ist es auch egal, ob nur 500 Leute auf der Tri­büne oder vor der Bühne stehen. Wenn die nach dem letzten Lied alle völlig aus dem Häus­chen sind und rufen Achim, du bist die geilste Sau der Welt!“, dann ist das ein­fach über­ra­gend. Beim Fuß­ball genau das gleiche. Ein bes­seres Gefühl gibt es nicht. Dein Ego ist auf dem Zenit, du stehst da, grinst und denkst: Jetzt bist du der Größte!

Noch eine Gemein­sam­keit von Fuß­bal­lern und Musi­kern: So ein Gefühl hält nicht lange vor.
Das stimmt. Du rast durchs Leben in einer Gefühl­sach­ter­bahn. Eben noch der große Held auf dem Platz, jetzt der große Idiot, der den Elf­meter ver­ur­sacht hat. Eben noch die geilste Sau der Welt, jetzt der Typ, der seine CDs wieder in den Kombi wuchtet.

Apropos Gefühl­sach­ter­bahn: Würden Sie sich als echten Fuß­ballfan bezeichnen?
Des­wegen sitzen wir doch hier, oder? Es gibt drei Dinge in meinem Leben, die mir wirk­lich wichtig sind: Familie, Musik und Fuß­ball.

Wem gilt dann Ihre Zunei­gung?
Früher Union Berlin, heute vor allem Energie Cottbus.

Für beide Klubs haben Sie eine Ver­eins­hymne geschrieben und gesungen.
Nicht ganz richtig: Geschrieben und gesungen habe ich nur die Energie-Hymne. (Singt:) Energie-gie-gie, wir kämpfen wie noch nie… Der Text zu Stim­mung in der Alten Förs­terei“ stammt von Harry Jeske, einem Grün­dungs­mit­glied der Puhdys.

Was war der schönste Moment in Ver­bin­dung mit diesen Sta­di­onhits?
Als wir 1997 die Auf­stiegs­spiele gegen Han­nover 96 gewannen und das ganze Sta­dion mein Lied sang. Cottbus in der zweiten Bun­des­liga und dann Energie-gie-gie …“ – das war sen­sa­tio­nell! Bis die Männer mit den langen Män­teln kamen.

Männer? Lange Mäntel?
Kennste nicht? So nennt man bei uns im Osten die Typen aus dem Westen, die nicht ganz koscher sind. Kaum war Energie auf­ge­stiegen, tauchten solche Gestalten auch in Cottbus auf. Nach dem Motto: Siehe da, die Ossis sind jetzt bei den Profis, da können wir bestimmt ein biss­chen Geld machen. Beim ersten Heim­spiel der neuen Saison sitze ich auf meinem ange­stammten Platz im Sta­dion, nach knapp einer halben Stunde fällt das 1:0. Und plötz­lich spielen die ein anderes Lied ein: (singt) Nananana, nananana …

Was haben Sie in diesem Moment gedacht?
Dass mein Kumpel in der Spre­cher­ka­bine bloß den fal­schen Knopf gedrückt hat. Nach dem Spiel sprach ich ihn darauf an. Er sagte: Achim, tut mir leid, das Prä­si­dium hat sich von den langen Män­teln über­zeugen lassen, einen anderen Song zu spielen.“

Ihre Ant­wort?
Ich sagte: Dann habt ihr jetzt einen treuen Fan weniger.“