Achim Mentzel ist tot. Er verstarb gestern im Alter von 69 Jahren. Wir erinnern an den großen Fußball-Enthusiasten mit einem Interview, das wir 2013 mit ihm führen durften.
Wir haben Ihnen was mitgebracht: Die LP von „Fußball ist unser Leben – Es singt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft für die Fußball-Weltmeisterschaft 1974“. Waren Günter Netzer, Franz Beckenbauer und Co. die ersten deutschen Fußball-Popstars?
Zuerst einmal: Singen konnten die alle nicht. Ich kenne überhaupt nur einen Fußballer, der musikalisch begabt war: Petar Radenkovic. Radi, der König! Ich glaube, Netzer und Beckenbauer hatten nie die Motivation, sich als Popstars zu inszenieren. Das haben die Medien übernommen. Ende der Sechziger wurde im Westen das Farbfernsehen eingeführt, 1972 wurde die BRD-Auswahl Europa‑, 1974 Weltmeister. Plötzlich interessierte sich ein Massenpublikum für Fußball. Und die Kicker, ob sie wollten oder nicht, wurden auf einmal zu glitzernden Stars gemacht.
Günter Netzer hat im 11 FREUNDE-Spezial „Rebellen“ zugegeben, dass seine Frau für seine berühmte Mähne verantwortlich war. Er selbst hätte es bei einem eher unpopulären Fassonschnitt belassen.
Siehste! Die Fußballer hatten nie wirklich Ambitionen, als Popstars durchzugehen. Man hat sie dazu gemacht.
Im Vergleich zu den Fußballern aus der Bundesliga wirkten die Spieler aus der DDR mausgrau. War der Osten wirklich so trist?
Natürlich nicht! Aber die Berichterstattung unterschied sich eklatant. Kurz nach der Wende bekam ich einen Anruf von einem Journalisten: „Herr Mentzel, wir kommen zu Ihnen nach Hause!“ Ich: „Warum das denn?“ Er: „Für eine Homestory!“ Ich: „Was is’n ditte?“ So was kannten wir ja alles gar nicht.
Kurze Pause.
Mentzels Frau stellt Lasagne auf den Tisch. Den Fotografen lacht er aus, weil der sich nur eine kleine Portion auf den Teller löffelt. Achim Mentzel ist klein, dick, trägt Schnauzer, Minipli (Zitat Mentzel: „Das sind Naturlocken!“), und wenn er lacht, dann sieht das aus, als wenn ein Clown kleine Kinder erschrecken möchte. Man kann diesen Mann so wunderbar einfach unterschätzen. Dabei liest sich seine Vita aufregender als jede Rock’n’Roller-Biografie: Als die Beatles und die Rolling Stones die westliche Welt im Sturm eroberten, gründete der 1946 in Berlin geborene Mentzel 1963 das „Diana Show Quartett“ und zog, die verpönten West-Hits singend, durch die DDR. 1972 blieb er nach einem Auftritt mit dem „Alfons-Wonneberg-Sextett“ in West-Berlin. Der Hauptgrund: „Ich hatte gerade Mist bei meiner zweiten Frau gebaut.“ Republikflucht wegen Seitensprung – mehr Rock’n’Roll ging in der DDR nicht. Auf dem Arbeitsamt der erste Dämpfer für den Künstler: „Als ich dem Mann vom Amt meinen Beruf nannte, sagte der nur: ›Gaukler und Fallensteller haben wir hier genug!‹“ Mentzel verdingte sich als Schweißer von Auspuffanlagen. Nach wenigen Monaten zog es ihn wieder hinter den Eisernen Vorhang. Die Apparatschiks zeigten sich vergleichsweise milde und verdonnerten den Musiker zu einer Bewährungsstrafe. Später lernte er die junge Nina Hagen kennen und zog mit ihr durchs Land. In den Achtzigern machte sich Mentzel, längst einer der bekanntesten DDR-Schlagerbarden, als Solist einen Namen und sang Vereinshymnen für Energie Cottbus und Union Berlin ein. Nur wenige Wochen vor dem Mauerfall feierte „Achims Hitparade“ Premiere – eine Schlagersendung, die bis 2006 auf Sendung blieb. „Und meine Existenz sicherte“, wie Mentzel heute sagt. Die Lasagne ist aufgegessen. Es gibt Kirschen aus dem Garten der Freundin seines Sohnes.
Das Interview geht weiter.
Was ist eigentlich schöner: Vor 5000 Zuschauern ein Tor zu schießen und im Jubel zu baden oder 5000 Zuschauer beim Konzert zum Kochen zu bringen?
Das nimmt sich nicht viel. Und da ist es auch egal, ob nur 500 Leute auf der Tribüne oder vor der Bühne stehen. Wenn die nach dem letzten Lied alle völlig aus dem Häuschen sind und rufen „Achim, du bist die geilste Sau der Welt!“, dann ist das einfach überragend. Beim Fußball genau das gleiche. Ein besseres Gefühl gibt es nicht. Dein Ego ist auf dem Zenit, du stehst da, grinst und denkst: Jetzt bist du der Größte!
Noch eine Gemeinsamkeit von Fußballern und Musikern: So ein Gefühl hält nicht lange vor.
Das stimmt. Du rast durchs Leben in einer Gefühlsachterbahn. Eben noch der große Held auf dem Platz, jetzt der große Idiot, der den Elfmeter verursacht hat. Eben noch die geilste Sau der Welt, jetzt der Typ, der seine CDs wieder in den Kombi wuchtet.
Apropos Gefühlsachterbahn: Würden Sie sich als echten Fußballfan bezeichnen?
Deswegen sitzen wir doch hier, oder? Es gibt drei Dinge in meinem Leben, die mir wirklich wichtig sind: Familie, Musik und Fußball.
Wem gilt dann Ihre Zuneigung?
Früher Union Berlin, heute vor allem Energie Cottbus.
Für beide Klubs haben Sie eine Vereinshymne geschrieben und gesungen.
Nicht ganz richtig: Geschrieben und gesungen habe ich nur die Energie-Hymne. (Singt:) Energie-gie-gie, wir kämpfen wie noch nie… Der Text zu „Stimmung in der Alten Försterei“ stammt von Harry Jeske, einem Gründungsmitglied der Puhdys.
Was war der schönste Moment in Verbindung mit diesen Stadionhits?
Als wir 1997 die Aufstiegsspiele gegen Hannover 96 gewannen und das ganze Stadion mein Lied sang. Cottbus in der zweiten Bundesliga und dann „Energie-gie-gie …“ – das war sensationell! Bis die Männer mit den langen Mänteln kamen.
Männer? Lange Mäntel?
Kennste nicht? So nennt man bei uns im Osten die Typen aus dem Westen, die nicht ganz koscher sind. Kaum war Energie aufgestiegen, tauchten solche Gestalten auch in Cottbus auf. Nach dem Motto: Siehe da, die Ossis sind jetzt bei den Profis, da können wir bestimmt ein bisschen Geld machen. Beim ersten Heimspiel der neuen Saison sitze ich auf meinem angestammten Platz im Stadion, nach knapp einer halben Stunde fällt das 1:0. Und plötzlich spielen die ein anderes Lied ein: (singt) Nananana, nananana …
Was haben Sie in diesem Moment gedacht?
Dass mein Kumpel in der Sprecherkabine bloß den falschen Knopf gedrückt hat. Nach dem Spiel sprach ich ihn darauf an. Er sagte: „Achim, tut mir leid, das Präsidium hat sich von den langen Mänteln überzeugen lassen, einen anderen Song zu spielen.“
Ihre Antwort?
Ich sagte: „Dann habt ihr jetzt einen treuen Fan weniger.“