Achim Mentzel ist tot. Er verstarb gestern im Alter von 69 Jahren. Wir erinnern an den großen Fußball-Enthusiasten mit einem Interview, das wir 2013 mit ihm führen durften.
Sie waren beleidigt.
Ich war todtraurig! Mir blutetet das Herz. Jahrelang sangen die Leute meine Musik, und dann sagten irgendwelche Leute mit viel Geld, die keine Verbindung zu dem Verein hatten: „Das wollen wir hier nicht mehr!“
Wie reagierte Energie auf Ihr Fernbleiben?
Ein paar Wochen später, ich war gerade mal wieder auf Achse, tauchte eine Delegation vor meinem Haus in Gallinchen (einem kleinen Dorf bei Cottbus; d. Red.) auf. Trainer, Präsident, Vize-Präsident, alles was Rang und Namen hatte. Meine Frau stand mit denen im Garten. „Frau Mentzel, sagen Sie doch ihrem Mann, dass er wieder ins Stadion kommen soll!“ Sie antwortete: „Tut mir leid, wenn der Achim sich entschieden hat, nicht mehr zu den Spielen zu kommen, dann lässt er sich auch nicht überreden.“ Und seitdem war ich nie wieder da.
Kann man denn einfach so seiner Liebe abschwören?
Natürlich nicht! Ich kaufte mir einen großen Fernseher und sah die Spiele von da an in der Glotze.
Sind Sie nie schwach geworden?
Januar und Februar sind für einen Musiker traditionell Saure-Gurken-Monate. Da hätte ich eigentlich immer genügend Zeit, um mal wieder ins Stadion zu gehen. Aber ich schwöre: Ich war nie wieder da! Selbst als eines Tages ein Fanklub vor meiner Tür stand und sagte: „Achim, wir wollen deine Hymne wieder!“ Das fand ich toll, das fand ich richtig rührend. Aber es änderte nichts an meiner Entscheidung. Und wenn ich die Entwicklungen der vergangenen Jahre betrachte, habe ich auch nicht viel falsch gemacht.
Was meinen Sie?
Ein Stadion ist ja auch in Cottbus längst keine reine Spielstätte mehr, sondern ein Ort, um Geschäfte zu machen. VIP-Räume sind mir ein Graus: Da bekommen Menschen eigene Eingänge, damit sie ja nicht mit dem Pöbel warten müssen, und sperren sich in verglasten Räumen ein, um über Geld zu sprechen, statt Fußball zu gucken. Ja, geht’s denn noch?
Jetzt klingen Sie wie ein junger Ultra.
Kann sein, aber was Fußball angeht, bin ich Traditionalist! Das war doch immer das Besondere: Menschen aller sozialen Klassen kommen an einem Ort zusammen, um sich ein Spiel anzuschauen, darüber zu sprechen und zu streiten. Inzwischen werden ganz bewusst Grenzen aufgebaut. Die da oben, die da unten. Da bleibe ich lieber zu Hause und schreie meinen Fernseher an.
Sehen Sie in dieser Entwicklung eine Gefahr für das Massenphänomen Fußball?
Manchmal denke ich da fatalistisch: Wenn schon große Vereine wie der MSV Duisburg keine Geldgeber finden und von der Pleite bedroht sind, wenn es Vereinsverantwortliche schon nicht mehr interessiert, wenn ihre Fans zwölf Minuten schweigen, um ihren Ärger auszudrücken, dann ist der Sport auf lange Sicht gefährdet. Fußball ist wie Pappe: Je mehr die Grundsubstanz aufgeweicht wird, desto weniger ist er zu gebrauchen.
Wann hat Sie der Fußball das letzte Mal im positiven Sinne emotional berührt?
Während der Weltmeisterschaft 2010 war ich völlig im Fieber. Ich fuhr in den Baumarkt, kaufte mir Erdmännchen-Figuren aus Stein mit Deutschland-Trikot – ich bin Erdmännchen-Sammler – und tapezierte unsere Terrasse mit schwarz-rot-goldenen Fahnen zu.
(Mentzels Sohn, der bei dem Gespräch anwesend ist, ruft dazwischen) Vergiss nicht die Vuvuzela, Papa!
Stimmt! Bei jedem deutschen Tor habe ich damit für gute Laune in der Nachbarschaft gesorgt. Was ein Spaß!
Die schwarz-rot-goldene Vuvuzela gibt es tatsächlich, sie hat einen Ehrenplatz auf der Mentzelschen Terrasse. Und überall Erdmännchen, es ist nicht zu fassen. Der Schlagersänger wohnt bescheiden, aber bequem: ein großer Garten, Pool, zwei Autos vor der Tür. Dass er noch immer mit Musik Geld verdient, hat er nach eigener Aussage dem Erfolg von „Achims Hitparade“ zu verdanken – und Oliver Kalkofe. Der schoss sich in seiner „Mattscheibe“ Mitte der Neunziger verstärkt auf Mentzels zum Teil groteske Auftritte im MDR ein, in seinem bekanntesten Sketch beschrieb er Mentzels äußere Erscheinung als „irgendwo zwischen Tony Marshall, dem Yeti und einem überfahrenen Hamster“. Mentzel selbst saß vor dem Fernseher, hörte den bösen Witz – und lachte sich schlapp: „Ich sagte zu meiner Frau: Jetzt erobern wir den Westen, jetzt kennt mich da doch jede Sau!“
Wenn sich morgen, sagen wir, Borussia Dortmund bei Ihnen melden würde und Sie bäte, eine neue Klubhymne zu schreiben, würden Sie das machen?
Warum denn nicht? Aber nur mit Unterstützung der Fans, die müssten mir ein paar stimmige Schlagworte nennen.
Anders gefragt: Gibt es einen Verein auf der Welt, für den Sie nie im Leben eine Hymne verfassen würden?
Ich bin zwar Fan, aber noch viel mehr Musiker. Deshalb: Lieber Roman Abramowitsch, wenn du willst, dass der dicke Mentzel aus dem Osten deinen FC Chelsea musikalisch in Schwung bringt, melde dich bei mir! Ich mache alles. Sogar Pop.