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Mein Acker ist die Zeit“, schrieb Goethe in West-öst­li­cher Divan“ einst. Es könnte der Sinn­spruch über der Kar­riere von Philipp Lahm sein. Dieser kleinen, feinen Mensch-Maschine, die ges­tern defi­nitiv ihr letztes Spiel auf inter­na­tio­nalem Par­kett absol­viert hat. Und was für ein Spiel das war.

Lahm zeigte auch auf dieser, der ganz großen Bühne einmal mehr, was in ihm steckt – näm­lich alles. Die Fleisch gewor­dene Feh­ler­lo­sig­keit. Selbst gegen die hoch­ge­züch­teten Maschinen aus Madrid. Nicht von unge­fähr ver­blasste Cris­tiano Ronaldo in der Anfangs­phase der Partie auf seiner linken Seite, der Seite Lahms. Wurde erst gefähr­lich – und zum drei­fa­chen Tor­schützen – als er dem umsich­tigen Radar des ewigen, bay­ri­schen Rechts­ver­tei­di­gers ent­wischt war.

Das Hexen­werk, die Dinge ein­fach aus­sehen zu lassen

In der Offen­sive gab er einmal mehr den kon­ge­nialen Wider­part des Unter­schieds­spie­lers Arjen Robben. Den beiden in ihren wie auto­ma­ti­siert wir­kenden Wech­sel­spielen zuzu­sehen, ist Freude pur. Dafür muss man nur mal eben die Ver­eins­brille abnehmen. Und wie leicht einem das fällt, schaut man diesem Duo bei der Arbeit zu.

Jeder Pass, jeder Laufweg wirkt dabei immer wie die nahe­lie­gendste Ent­schei­dung. Es ist kein Hexen­werk, so scheint es. Und dann ist es doch genau das: Das ver­dammte Hexen­werk, die Dinge ein­fach aus­sehen zu lassen. Jede Ball­an­nahme, jeder Haken könnte einem Lehr­buch ent­sprungen sein. Was anderen Spie­lern pro Partie viel­leicht einmal gelingt, gelingt diesen beiden in beein­dru­ckender Bestän­dig­keit. 

Jede Bewe­gung wie aus einem Maß­nahmen-Katalog

Und den­noch schien es gegen Real Madrid zunächst nicht zu rei­chen. Wie schon im Hin­spiel war das Zusam­men­spiel zwi­schen Robben und Lahm das alte Geprengel auf Fünf-Sterne-Niveau. Einzig: Die Unter­stüt­zung der Mit­spieler fehlte. Madrid stellte die Rob­ben/­Lahm-Seite mit einer steten Über­zahl in Men­schen­beton. Ohne die Unter­stüt­zung der eher sta­tisch agie­renden Rest-Bayern kam so auch die rechte Scho­ko­laden-Seite der Münchner nicht wirk­lich zur Gel­tung. 

So pas­sierte zu Beginn der zweiten Halb­zeit etwas, was Philipp Lahm im Laufe seiner Kar­riere selten pas­sierte: Er ent­schlüpfte seiner Rolle. Der Mann, bei dem jede seiner Bewe­gungen wie aus einem Maß­nahmen-Katalog ent­nommen scheint, die er nur abzu­rufen braucht, um der Mann­schaft zu helfen, musste impro­vi­sieren.

Oft­mals scheint einen bei Philipp Lahms Aktionen ja eine Art Deja Vu zu ereilen. Wäh­rend Arjen Robben den typi­schen Robben-Signa­ture-Move“ hat, dieses von rechts außen nach innen ziehen, um dann den Abschluss zu suchen, scheint Lahm in seiner Gesamt­heit ein ein­ziger Signa­ture-Move zu sein.

Jeder Ein­wurf, jeder Zwei­kampf, jeder Ansatz zum Flan­ken­lauf scheint fast deckungs­gleich zu sein, zu jedem Ein­wurf, Zwei­kampf oder Flan­ken­lauf, den Lahm zuvor schon in seine Kar­riere gestellt hatte. 

Nie von Emo­tionen gezehrt

Doch mit Beginn der zweiten Halb­zeit von Madrid brach Lahm aus, merkte, dass nun nicht mehr nur der per­fekte, der feh­ler­lose Mit­spieler Lahm gebraucht wurde, son­dern der Anführer, der Antreiber Lahm. Dann zog er in die Mitte, brach das feste Schema auf, schuf Räume. Fast hätte es gereicht, fast wären die Bayern dem Strick des Hin­spiels noch ent­kommen. Doch fast zählt im Fuß­ball genau gar nichts.

Nie­mand weiß das besser als Philipp Lahm. Der nie von Emo­tionen zehrte, son­dern immer von Arbeit und Können. Der sich auch nach dem Spiel nicht dazu hin­reißen ließ, die Schuld bei anderen zu suchen. Wäh­rend seine Mit­spieler, die Ver­eins­oberen vor Wut über die Schieds­richter-Leis­tung in die Mikro­fone schnauften, behielt Lahm die Sinne bei­sammen, wie immer auch auf dem Rasen. So ist Fuß­ball“, und Abgang.

Die per­fekte Kar­riere

Ein paar Spiele hat er noch vor sich, Meis­ter­schaft und DFB-Pokal­sieg werden ver­mut­lich noch dazu kommen, zu dieser per­fekten Kar­riere. Dann wird es Zeit, wirk­lich Abschied zu nehmen von einem, der eine Per­sön­lich­keit war, ohne je per­sön­lich zu werden. Dem inter­na­tio­nalen Fuß­ball hat er ges­tern still und leise Adieu gesagt. Einmal noch seine Visi­ten­karte hin­ter­lassen, die in ihrer Beschei­den­heit nicht viel her­macht, und doch schwerer wiegt, als die meisten sonst. 

Ein paar Spiele hat er noch vor sich. Ein paar Spiele ackern noch. Er wird feh­lerlos sein. Und zeigen, was in ihm steckt, und was mit ihm geht. Alles.