Am Dienstagabend droht dem FC Schalke 04 der Abstieg aus der Bundesliga. Zum ersten Mal seit über 30 Jahren. Doch ist jeder Niedergang gleich? Mitnichten. Eine typologische Einführung in die Gefühlswelt von Absteigern.
Eigentlich steht der Abstieg schon am 34. Spieltag der Vorsaison fest. Der leidtragende Klub hat sich irgendwie auf einen Aufstiegsrang gemogelt und erklärt sich fortan permanent zum größten Außenseiter seit dem Hirtenjungen David. Auf dem Rathausbalkon verkündet der besoffene Kapitän mit um den Kopf gebundenen Seidenschal, dass man nächstes Jahr die Bayern ärgern werde, dass man die besten Fans der Welt habe und er diesen Verein mehr liebe als seine Großmutter.
In der neuen Liga dann jedoch lässt sich der Verein 34 Spieltage lang verprügeln. Die Fans haben trotzdem Spaß. Menschen, die sich jahrelang über den Verein lustig machten, sind auf einmal dessen „treuste Fans“. Nach jedem Spiel füllen Uwes und Reiners die Kommentarspalten der Social-Media-Kanäle: „Respekt! Eure Fans sind eine Bereicherung für die Liga und das sage ich als Bayern-Fan“. Uwe und Reiner sind von ihrer eigenen Courage ergriffen, den sich im Rausch befindlichen Anhängern ist es egal. In diesen Tagen ist ihnen sowieso alles gleichgültig. Der Abstieg ist eine Randnotiz, er wird besoffen und widerspruchslos akzeptieren. Das toxische des Party-Abstiegs zeigt sich erst im nächsten Jahr, wenn die ins Absurde gestiegene Erwartungshaltung nicht mehr eingehalten werden kann. Der betrunkene Kapitän spielt da bereits woanders.
Typische Kandidaten: Darmstadt, Fürth
Diese Saison: Bielefeld
Die Vorbereitungszeit in der Sommerpause wird auf Nebenkriegsschauplätzen vergeudet. Fanproteste gegen die Farbe des Ausweichtrikots oder Gerüchte über utopische Stadionausbaupläne vernebeln den Blick auf das Wesentliche. Niemandem fällt auf, dass die beiden besten Spieler zwar gewinnbringend verkauft wurden, adäquater Ersatz aber ausbleibt. So stirbt der Verein einen quälend langsamen Tod. Der Saisonstart ist eine Katastrophe. Dann wird es schlimmer. Am 6. Spieltag muss der erste Trainer gehen. Sportreporter überbieten sich da bereits im Aufzählen neuaufgestellter Negativrekorde. Zur Winterpause steht der Abstieg praktisch fest. Anstatt für die Liga drunter zu planen, zücken alte weiße Männer nochmal ihr dickes Portemonnaie, um sich mit Panik-Einkäufen als Retter der Region aufzuspielen. Die lokalen Wirtschaftsfürsten vertrauen dabei mehr auf Sky-Screentime als auf sportliche Expertise. Viele große Namen kommen, Erfolg nicht.
Spätestens am 30. Spieltag ist dann auch rechnerisch alles dicht. Der fünfte Trainer der Saison nimmt seinen Hut. Das Ende der Saison gleicht einer Erlösung. Doch nach der Sommerpause geht alles genauso weiter… eine Liga tiefer.
Typische Kandidaten: 1. FC Kaiserslautern, Hannover 96
Diese Saison: Schalke
Dieses Jahr soll es endlich mit Europa klappen, der Kader hat genug Qualität. Zuversicht bis unters Flutlicht. Doch irgendwie ist der Wurm drin. Die Mannschaft spielt nicht schlecht, gewinnt aber zu selten. Die Nachspielzeit ist der Feind. Sichere Führungen werden verspielt, Spiele durch individuelle Fehler verloren. Eine Verletzungsmisere lässt den Glauben an den einstelligen Tabellenplatz schwinden. Irgendwann im letzten Saisondrittel realisiert die Führungsetage, dass selbst der Ligaverbleib kein Naturgesetz ist. Hektische Personalrochaden auf der Trainerbank folgen.
Am letzten Spieltag ist die Ausgangslage günstig. Ein Punkt reicht. Aber die Mannschaft hat mittlerweile Schiss. Ausgerechnet der erfahrende Innenverteidiger spielt einen Scheißpass. Das eigene Spiel geht verloren. Nach dem Abpfiff noch der bange Blick zu den anderen Plätzen. Auch dort ist Schluss. Die Ergebnisse stimmen nicht. Die brutale Gewissheit: Abstieg.
Leere. Tränen. Verzweiflung. Reporter bemühen Floskeln, „das verkorkste Ende einer verkorksten Saison“, „bezeichnend“, und so weiter. „Halt die Fresse!“ möchte der enttäuschte Fan entgegnen, doch die Kraft dazu fehlt. Es tut weh. Es schmerzt. Die Mannschaft war eigentlich zu gut. Kein Spieler wird bleiben. Es wird Jahre dauern, um wieder auf die Beine zu kommen.
Typische Kandidaten: Karlsruher SC, 1. FC Kaiserlautern, 1. FC Nürnberg
Diese Saison: Hertha BSC
Ein Text über Abstiegskampf soll nicht so deprimierend enden wie die Realität derjenigen, die sich naturgemäß für Abstiegskampf Interessieren. Denn im Fußball gibt es immer wieder diese unerklärlichen Happy Ends. Die Saison war schlimm, der finale Sargnagel konnte jedoch immer wieder verhindert werden. Die jüngste Trainer-Entlassung scheint gefruchtet zu haben. Am letzten Spieltag besteht die Restchance darin, dass Y bei X nicht verliert, T gegen U mit mindestens drei Toren Unterschied gewinnt und das Maskottchen von P in D nicht für einen Spielabbruch sorgt. Am Morgen des Spiels liegt die Vorahnung der Urteilsvollstreckung über der Stadt. Das Stadion füllt sich in Erwartung von etwas Schrecklichem. Es stinkt nach Angstschweiß.
Die eigene Hausaufgabe glückt, die Gedanken sind allerdings bei den Spielständen auf den anderen Plätzen. Unsensible Scherzbolde brüllen die Führung von T durch den Block, um die Stimmung zu verbessern. Torschütze des Führungstores ist allerdings ihre Fantasie. In der 88. fällt dann tatsächlich das entscheidende Tor in T. Wenige Minuten später wird beim dreimaligen Pfiff des Schiedsrichters klar: Es ist geschafft. Das belastende Schreckensszenario, das die lokale Zeitung bereits in allen Facetten ausgeführt hatte: Vom Tisch. Die Brust ist frei. Wildfremde Menschen umarmen sich, hunderte von Zuschauern sind bereits auf dem Feld und gestandene Männer blicken mit glasigen Augen auf die Anzeigetafel und seufzen „Tja, wer hätte das gedacht“. Die örtliche Brauerei freut sich über einen Rekordumsatz. Warme Erleichterung.
Typische Kandidaten: Frankfurt, Werder
Diese Saison: Köln (vielleicht)