Das 182. Revierderby findet unter Vorzeichen statt, die es so noch nicht gab. Das stellt auch unseren Autor vor eine für ihn ungewöhnliche Gewissensfrage.
Das aber ist genau die Art von Frage, die man als Dortmunder in diesen Tagen und Wochen ständig gestellt bekommt. „Irgendwie wünscht ihr euch aber schon, dass Schalke drinbleibt, stimmt’s?“ „Man braucht ja einen Rivalen, sonst macht es keinen Spaß, nicht wahr?“ „Bundesliga ohne Derby ist keine Bundesliga, richtig?“
Natürlich lauten die Antworten: nein, unwahr und falsch.
Das ist schon allein deshalb so, weil ein Spiel gegen den großen Lokalrivalen niemals Spaß macht. Ein Derby ist immer Anspannung, Nervosität und oft sogar Furcht. Klar, ein Derbysieg ist etwas ganz Besonderes … aber das gilt, wie inzwischen selbst Marco Rose mitbekommen haben dürfte, eben auch für eine Derbyniederlage. So sehen nicht wenige Borussen dem Spiel heute mit leichtem Unbehagen entgegen, gerade weil 24 Punkte zwischen den beiden Teams liegen und das Hinspiel eine so deutliche Angelegenheit war. Die jüngsten Auftritte der Schwarz-Gelben in der Liga und die aktuellen, gar nicht mehr so üblen Leistungen der Königsblauen verstärken diese innere Unruhe noch. Man geht eben ungern als Favorit in ein Derby, weil die Fallhöhe unangenehm groß wird.
Wenn man es ganz genau betrachtet, geht man natürlich auch ungern als Außenseiter in ein Derby. Wie gesagt, man geht eigentlich gar nicht gerne in ein Derby. Und deswegen gab es auf der Südtribüne auch niemanden, der den FC Schalke vermisst hätte, als die Knappen in den Achtzigern und frühen Neunzigern fünf Saisons unter Tage spielten. Das mag auf den Sitzplätzen, bei Nicht-Stadiongängern oder unter Gelegenheitsfans anders ausgesehen haben, aber beinharte Borussen waren in jenen Jahren glühende Anhänger von Wattenscheid und Saarbrücken – oder wer auch immer Schalke gerade den Aufstieg vermieste.
Und so müsste dieser Text jetzt an Ort und Stelle mit dem flotten Verweis enden, dass der Ausdruck „letztes Derby“ in Dortmunder Ohren (und im umgekehrten Falle verhielte es sich mit Schalker Gehörgängen genauso) uneingeschränkt verheißungsvoll klingt. Wenn … ja, wenn im Moment irgendwas auch nur ansatzweise normal wäre. Stattdessen ist es vor dem Derby plötzlich an der Zeit, ein neues Entweder-oder-Spiel zu entwickeln. Und das geht ungefähr so: Wenn der BVB heute gewinnt, ist Schalke bei dann mindestens neun Punkten Rückstand auf Platz 16 und nur noch zwölf Spielen so nah am Abgrund, dass es schon das Gleichgewicht verliert.
Aber wäre das gut oder schlecht?
Um es deutlicher zu formulieren: Will man wirklich, dass Schalke so absteigt? Vor gähnend leeren Tribünen, bei einer Akustik wie in der Schulturnhalle und zu einer Zeit, da die Kneipen verrammelt sind? In einer Saison, in der wir alle bloß Sitzplätze haben, Nicht-Stadiongänger sind und uns nur noch marginal von Gelegenheitsfans unterscheiden? Würde sich das überhaupt wie ein Abstieg anfühlen – oder bloß wie der Verlust eines Charakterlevels an der Spielkonsole?
Das ist eine Gewissensfrage, bei der selbst der Ghostrider’s MC sich zur Beratung zurückziehen würde. Um sie überhaupt beantworten zu können, müsste man wahrscheinlich mal bei Gladbach-Fans nachfragen, wie sie sich gefühlt haben, als Fortuna Düsseldorf im Juni abstieg. Aber die sind ja im Moment fast so schlecht auf Dortmund zu sprechen wie die Schalker