In Dortmund feiert ein Jahrgang Abschied, in Köln produzieren sie letzte Strohhalme und in Bremen heißt’s nun endgültig: Bis denne, Antenne! Die 11 des 34. Spieltags.
Sami Khedira
Casanova, Casanova: Sami Khedira macht mit dem Fußball Schluss. Nach Liebeleien beim VfB Stuttgart, Real Madrid, Juventus Turin, eben dieser Hertha, samt etlichen Titeln und einer heißen Nacht in Rio, endet eine große Karriere. Heute hier, morgen da. Sein letztes Rendezvous bei Hertha endete dreckig mit einem 1:2 in Hoffenheim. Nach neun Bundesligaspielen zieht der Stecher weiter. Der Spargel erntet sich nicht von alleine.
Sven & Lars Bender
Die menschgewordenen Muskelfaserrisse beenden ebenfalls ihre Karrieren. Während Lars Bender vorerst – natürlich – wegen einer Meniskusverletzung nicht auf dem Platz stehen konnte, durfte Sven Bender ein letztes Mal auflaufen. Und das auch noch in dem Stadion, das acht Jahre lang seine Heimat gewesen ist. Das Schicksal meinte es dieses Mal gut mit ihm. Ohne Kapselriss, Rippenbruch oder Sehnenreizung beendete Sven Bender sein finales Karrierespiel. In der Schlussminute ging er vom Platz und machte für seinen Bruder Lars Platz, der noch einen Elfmeter versenken durfte. Wunderbare Szene, leider vor schweigenden Plastikschalen. Doch vielleicht war es auch gut, dass kein volles Westfalenstadion und kein ausverkaufter Auswärtsblock Abschied von den Bender-Brüdern nehmen konnten. Vermutlich hätten sie sich ansonsten beim Schluchzen noch die Tränendrüse gedehnt, beim Schlucken die Rachenhinterwand angerissen oder bei der Laola-Welle die Rotatorenmanschette gesprengt.
Werder Bremen
Die Stille danach. Wenn selbst die Kraft zum Weinen fehlt. Der Schock so tief sitzt, dass er die Luft zum Atmen abschnürt. Ja, dann ist etwas Schreckliches passiert. Aber wie konnte es soweit kommen? Wie? Vorletzter? Nur ein einziger war noch schlechter. Das ist blamabel, beschämend. Wie soll man so etwas erklären? Man, man, man. Gut, wenn man ehrlich ist, war das irgendwo auch abzusehen. Ganz ehrlich, diese blondierten Haare, das pinke Sakko, dann so ein Kack-Song: Da darf man sich eigentlich nicht über den vorletzten Platz beschweren. I don’t feel hate, aber das war wirklich gar nichts, Jendrik Sigwart!
Theo Gebre Selassie
„Bye, Bye Butterfly“, „Sayonara Carbonara“, „See you soon, sailor moon“: Ihr glaubt, schlimmer als auf diese Weise kann man sich nicht verabschieden? Dann schaut mal nach Bremen, wo Theo Gebre Selassie sein letztes Spiel für Werder gemacht hat, das gleichbedeutend mit dem ersten Abstieg seit 1980 war. Neun Jahre Werder. Sebastian Mielitz, Tom Trybull, Levent Aycicek kamen und gingen, Gebre Selassie ist geblieben. Er hielt die rechte Seite zusammen, stand für Konstanz und kompensierte jahrelang die Seelenlosigkeit in der Truppe. Nun verlässt er Werder und lässt seinen Klub in Liga Zwei zurück. Also: Eine noch beschissenere Verabschiedung ist möglich. In diesem Sinne: Bis denne, Antenne!
Manuel Gräfe
Auch Manuel Gräfe ist nach 16 Jahren Bundesliga gezwungen aufzuhören. Der Altersgrenze des DFB sei Dank. Es war zuletzt aber auch schlimm anzusehen, auf welch perverse Art Gräfe durch die Saison geschliffen wurde. Dieser gebrechliche 47 Jahre alte Körper glich bloß noch einer in sich zusammenfallenden Ruine. Er war schon nur noch mit Hörgerät auf dem Platz zu sehen, immer in Verbindung mit seinen zwei Pflegekräften an der Seitenlinie. Die Pfeife, die Gräfe immer bei sich trägt, war ein Geschenk seiner besorgten Enkelkinder. Mehrmals pro Spiel musste er sie benutzen, weil die Senilität ihm die Orientierung geraubt hatte. So konnten ihn die anderen finden. Die hohe Frequenz des Pfiffs kann Gräfe selbst schon lange nicht mehr wahrnehmen. Mit dem grünweißen Aufdruck auf dem Ärmel ist zudem seine beinahe Blindheit gekennzeichnet. Die Funktionsschuhe mit den kleinen Kunststoffhaken unter der Sohle helfen sich im Boden festzuhaken, um seinem unsicheren Gang Halt zu verleihen. Durch Wunder der Technik und der Medizin konnte sein Schiedsrichterleben künstlich am Leben gehalten werden. Bei aller Liebe ist es jedoch schlicht und ergreifend fahrlässig, dass der DFB Gräfe in diesem Alter noch hat arbeiten lassen. Daher hat er seinen Lebensabend nun mehr als verdient.
Abschlussball in Dortmund
Es hatte was von Abschlussball am Samstagnachmittag in Dortmund. Wie die metaphorische Pusteblume trieb es die Abschlussklasse nun auseinander: Lukasz Piszczek geht nach elf Jahren Borussia Dortmund zurück in seine Heimat, die Bender-Brüder fahren nach zehn Bundesligajahren ihre geschundenen Körper herunter, Manuel Gräfe verlässt die Liga, Edin Terzic und Hannes Wolf treten zurück in den Hintergrund. Wochenlang drehte sich schon alles um diesen Tag: Wer geht mit wem? Was anziehen? Wer wird Ballkönig? Mit Stretch-Limo ging’s zum Ballsaal, es gab Begrüßungsdrinks, Erinnerungsfotos, die Ballkönig-Wahl. Die Kombination aus Waldmeisterbowle und „School’s Out“ von Alice Cooper brachte den Saal dann zum Brennen. Und spätestens bei der mit Green Days „Good Riddance“ unterlegten Diashow hatten dann auch die coolsten Jungs der Stufe einen Kloß im Hals. I hope you had the time of your life!
Sebastiaan Bornauw
Der rettende Strohhalm in strohblond. Fair Trade in Belgien hergestellt. Oft aus dekorativen Zwecken im Glas, landen die aus Erdöl hergestellten Plastikröhrchen kurze Zeit später im Mülleimer. Mit Rettungshalm Bournauw sieht die Kölner Öko-Bilanz wieder besser aus. Er ist sogar wiederverwendbar. Also Mittwoch schön Kiel wegschlürfen. Trotzdem, kleiner Servicetipp an dieser Stelle: Nächste Saison einfach komplett auf Strohhalme verzichten, schmeckt eh besser ohne.
Frank Kramer
Bielefelds Trainer trat am letzten Spieltag im Fernduell gegen Friedhelm Funkel mit dem 1. FC Köln und Thomas Schaaf mit Werder Bremen an. Das sind 23 Bundesligaspiele an der Seitenlinie, die auf 516 beziehungsweise 525 Bundesligaspiele trafen. Ob Frank Kramer nicht nur aussieht wie Mario Barth, sondern auch den gleichen Elan hat? Schaaf und Funkel konnten da jedenfalls nicht mithalten. Ja, wat war’n ditte in Stuttgart? Es is so geil, ey. Kennste Klassenerhalt? Klassenerhalt, kennste? Schaaf, kennste nich, ne? Pass auf, Alter! Und jetzt hat er auch ne Freundin. Ne Freundin! Kennste, Kennste, Kennste. Nächstes Jahr macht Kramer mit seinem Programm dann die Alm voll.
Jerome Boateng, David Alaba und Javi Martinez
Haben in neun gemeinsamen Jahren bei den Bayern insgesamt 24 Titel geholt. So viele kann sich kein Spitzenpolitiker der Welt erschleichen. Nicht mal Prinz Marcus kann sich so viele Titel leisten. Nun verlassen Boateng, Alaba und Martinez den Verein. Seltsam wird das. Bayern ohne die drei ist wie Prinz Marcus ohne Prozess, wie Spitzenpolitik ohne Plagiatsaffäre.
Oliver Glasner
„Ich, Oliver Glasner, werde nächstes Jahr definitiv in Wolfsburg spielen“, soll Alexander Bommes neulich aus dem jungen, schüchternen Trainer der Wolfsburger herausgepresst haben. War wahrscheinlich gelogen. Dabei könnte Glasner in der Autostadt eine Ära prägen, der Wolfgang Wolf der Neuzeit werden. Mit Augenthaler-Selbstinterviews und Felix-Magath-Zuchtmeister-Training.
Der letzte Spieltag
Dem 34. Bundesligaspieltag einer Saison wohnt häufig eine Melancholie inne. Wenn man nicht gerade Fan des 1. FC Köln oder Arminia Bielefeld ist. Da benötigt man in der Regel nämlich einen Herzschrittmacher, um überhaupt noch einen Schlag zu tun. Oder man hat sich Borussia Mönchengladbach verschrieben. Da nämlich werden üblicherweise die Ziele auf dem letzten Meter noch eingerissen. Oder natürlich man gehört Vereinen wie dem VfL Wolfsburg, TSG Hoffenheim und Co. an. Da ist im Grunde auch nicht mehr viel mit Gefühlen jeglicher Art. Aber die drei, vier anderen Klubs, die es in der Liga noch gibt, dürfen am letzten Spieltag melancholisch sein. Denn ganz egal, wie die Saison verlaufen ist, nun heißt es fürs Erste: Abschied nehmen. Von Spielern, die den Verein verlassen, von Trainern, die gehen oder von Stadien, die einem Autohaus Platz machen müssen. Schlimm ist die Leere, die einkehrt, wenn der 34. Spieltag gespielt ist, mit Kumpels und Kumpelinen der letzte Schluck gebechert und im Anschluss an der Bude das Bier in dem Wissen reingekehlt wird: Das dauert jetzt erstmal bis dieses Gefühl wiederkehrt. Und Wochen später, gerade als der Gedanke kommt, es ginge ja irgendwie auch ohne Fußball, baut es sich urplötzlich wieder auf. Erst kommt das Kicker-Sonderheft, per YouTube-Scouting deutet sich an, dass der neue Rechtsverteidiger aus St. Etienne tatsächlich sechs Millionen Euro wert ist. Bald darauf die ersten Vorbereitungsspiele gegen VVV Venlo und SSV Reutlingen. Da ist der neue Außenstürmer, den die Verantwortlichen aus der Jugend von Real Sociedad losgeeist haben und bei dem es etwas verwunderlich ist, dass er sich zu diesem Rumpelklub hat transferieren lassen. Dann geht es in die erste DFB-Pokalrunde gegen den 1. FC Saarbrücken. Das Team fliegt selbstverständlich raus. Der Trainer steht bereits zur Debatte. Schließlich beginnt die Saison: Erster Spieltag, Spätsommer, vier Halbe sitzen, die Stimmung ist gelöst. Nach 23 Sekunden klingelt es im Tor. Zur Halbzeit liegt das Team 0:3 gegen Hoffenheim zurück. Und es werden Erinnerungen an diese herrlichen Abende in der Sommerpause wach, als es eine Sorge weniger gab.