Sechs Jahre hat Ralf Minge die Geschicke von Dynamo Dresden geleitet. Und obwohl der Verein zu seinem Abschied nun wieder genau dort steht, wo er unter Minge anfing, werden die Dynamo-Fans ihm nachtrauern.
Allen Abstandsregeln zum Trotz stehen am Sonntagnachmittag hunderte Fans von Dynamo Dresden vor dem Rudolf-Harbig- Stadion. Sie feuern ihre Mannschaft an, die sich drinnen vor einer Geisterkulisse gegen den VfL Osnabrück zu einem 2:2 quält. Als Absteiger steht Dynamo schon fest. Doch als die Truppe nach dem Spiel vor das Stadion kommt, wird sie gefeiert, als hätte sie gerade die Klasse gehalten. Mindestens.
Besonders emotional wird dabei ein Mann verabschiedet: Ralf Minge, der scheidende Sportgeschäftsführer. Warum das? Schließlich endet Minges Amtszeit ebenso, wie sie 2013/14 begonnen hat: mit dem Abstieg in die Dritte Liga. Als hätte sich ein Kreis geschlossen. Der Verein steht scheinbar an der gleichen Stelle, ganz so als hätte es die vergangenen sechs Jahre unter „Mingus“ nicht gegeben.
Aber das ist falsch. Seitdem hat sich viel verändert, viel verbessert. Dynamo ist entschuldet und verfügt über Eigenkapital, ein neues Trainingszentrum wurde gebaut, die Nachwuchsarbeit ist ein Goldesel und es gibt ein Wir-Gefühl zwischen Fans und Verein. Dynamo ist nicht mehr die Lachnummer im deutschen Fußball, sondern strukturell im Profifussball angekommen.
Er gab dem sich seit Jahrzehnten am vergilbenden Glanz vergangener Tage selbst berauschenden Verein eine Vision, ein Leitbild. Hinter den Schlagworten „Wir haben einen Traum“ versammelte sich das Umfeld, mit dem Ziel die SGD wieder aufzupolieren. Bei einem durchschnittlichen Zweitligisten mit wiederkehrenden Drittliga-Ausflügen ist es für Außenstehende sicher nicht unbedingt nachzuvollziehen, dass dieser Traum ausgerechnet das 100. Europapokalspiel sein soll. Seit 29 Jahren steckt die SGD bei 98 fest. Das Backen kleiner Brötchen ist in Dresden allgemein und bei Dynamo im Speziellen eben nicht die Herangehensweise.
Minge wollte diesen Traum jedoch nicht mit überbezahlten Altstars osteuropäischer „Top-Ligen“ erreichen, sondern – und das war neu – mit kontinuierlicher Arbeit, ohne bei Rückschlägen in branchenüblichen Aktionismus zu verfallen. Mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs und einem jungen Trainer – dem Fußballgott im Ruhestand Cristian Fiél. Man wagte sich sogar soweit vor, für 2020/21 den Bundesligaaufstieg als Ziel auszurufen. Das klang traumhaft und hätte es auch werden können. Ein Fußballmärchen irgendwo zwischen dem Durchmarsch von Darmstadt 98 in die Bundesliga und der europäischen Wiederauferstehung von Ajax Amsterdam 2018/19. Blöd nur, wenn sich das balltretende Personal beharrlich weigert, an der Traumerfüllung mitzuwirken und man stattdessen von Jahr zu Jahr tiefer in den Abgrund schaut.
Niemand – am wenigsten Ralf Minge selbst – bestreitet, dass er Fehler gemacht hat. Kein Zweifel, für die Zusammenstellung der Mannschaft trägt Minge nun einmal die Hauptverantwortung. Auch bei der Trainerwahl lag er bei sechs Versuchen nur bei Uwe Neuhaus richtig. Unter ihm stieg Dynamo in die zweite Liga auf und konnte sich dort etablieren, ganz so wie im Fünfjahresplan vorgesehen. Leider verstand man in Dresden unter „Etablierung“ nicht die untere Tabellenhälfte. Die Unzufriedenheit mit Neuhaus wuchs. Nach internen Verstimmungen über die Zusammenstellung seines Betreuer- und Trainerstabs ging er mehr oder weniger freiwillig. Ironie der Geschichte: Mit Arminia Bielefeld ist er jetzt dort angekommen, wo Dynamo hin wollte: In der Bundesliga.