Der Welpencharme ist dahin. Thomas Müller ist für den FC Bayern zum Problemfall geworden. Wenn der 30-Jährige seiner Karriere nochmal Auftrieb geben will, sollte er den Rekordmeister so schnell wie möglich verlassen.
Als vor vierzig Jahren Trainer Pal Csernai beim FC Bayern den großen Gerd Müller zum Bankdrücker degradierte, nach 365 Bundesligatoren, vier Meisterschaften, einem WM-Titel und drei Landesmeisterpokalen, sprach dessen Teamkamerad Paul Breitner den unsentimentalen, aber doch wahren Satz: „Für Nostalgie ist in diesem Geschäft kein Platz.“
Der „Bomber“ beendete grummelnd seine Laufbahn in Deutschland, wechselte in die amerikanische Profiliga und gab sich bald hemmungslos dem Müßiggang hin. Während ehemalige Mitspieler wie Franz Beckenbauer, Karl Heinz Rummenigge oder Uli Hoeneß nach der Karriere zu prägenden Figuren des deutschen Fußballs wurden, ging das Phänomen Müller nach seinem Abschied aus München direkt in den Status der lebenden Legenden über. Seine epochalen sportlichen Erfolge wurden für ihn zu einer schweren Last anstatt zu einem Katalysator für eine Zukunft in Zufriedenheit.
Einer wie er wird gar nicht mehr gebaut
Dass Nostalgie im Profifußball nicht existiert, bekommt in diesen Wochen auch Namensvetter Thomas Müller zu spüren. Schon bei der Verpflichtung von Philippe Coutinho im Sommer war absehbar, dass der Transfer Müllers Standing im FCB-Kader nicht unbedingt zuträglich sein würde. Dass es aber so heavy für ihn wird, haben selbst ärgste Kritiker nicht erwartet: Abgesehen vom Pokalspiel gegen den Amateurklub Energie Cottbus stand der 30-Jährige in dieser Saison nicht einmal über 90 Minuten auf dem Platz. Meist, in der Bundesliga in fünf von acht Spielen der Fall, saß er zu Beginn nur auf der Bank. Niko Kovac, sonst ein rhetorisch geschulter, höchst kontrollierter Moderator in problematischen Fragen die Säbener Straße betreffend, rutschte die Bemerkung heraus: „Wenn Not am Mann ist, wird er bestimmt seine Minuten bekommen.“ Ein Satz, für den sich der Trainer zwar entschuldigte, der aber belegt, dass Thomas Müller nach seiner Ausmusterung bei der Nationalelf auch im Klub nur noch zweite Wahl ist.
Wie sehr die Situation an ihm nagt, war am Samstag gegen den FC Augsburg zu besichtigen. Nachdem er zehn Minuten vor Abpfiff für Coutinho aufs Feld gekommen war, tauchte er kurz darauf allein vor Schlussmann Tomas Koubek auf. Doch im Gegensatz zu früheren Zeite, schlawienerte er die Pille diesmal nicht mit der gewohnter Lässigkeit in die Maschen, sondern drosch verkrampft drüber. Gleich darauf glich der FCA aus – und der krisengeplagte Müller wurde im Handstreich auch noch zum Gesicht der Misere, in der sich längst auch der Rekordmeister befindet.
Er spielte wie ein Lausbub und gab sich auch so
Da war nichts mehr von der augenzwinkernden Hoppla-jetzt-komm-ich Verve zu erkennen, die den Weilheimer stets ausgezeichnet hatte. Lange Zeit war Müller berühmt-berüchtigt als der Quasi-Angreifer, der selbst aus Null-Chancen mit jedem beliebigen Körperteil Tore generierte und oft wirkte als sei er beim Spazierengehen im gegnerischen Strafraum so unglücklich angeschossen worden, dass der Ball gar nicht anders konnte als ins Tor zu trudeln. Damals fragten sich viele: Moment, einer wie der wird doch heute gar nicht mehr gebaut. Der junge Müller war der Beweis, dass sich auch im krankhaft kommerzialisierten Fußball unorthodoxes Spiel, großer Unterhaltungswert, bajuwarischer Habitus und rekordmeisterlicher Erfolg nicht ausschließen müssen. Müller spielte wie ein Lausbub und er gab sich auch so.
Selbst ausgefuchste Fieldreporter waren mit seiner Spontanität überfordert. Selbst wenn Müller schlechte Laune nach einem Spiel hatte, wirkte er nicht wie ein verbitterter Meckerrentner, sondern eher wie ein Halbstarker, der nach einer Rauferei in der Disco Hausverbot bekommen hat und nun überlegt, sich mit angeklebtem Schnurrbart wieder in die Schlange am Eingang zu stellen.