Zunehmend sehen sich Schiedsrichter in Deutschland mit Gewalt und Beleidigungen konfrontiert. Am Wochenende protestierten sie in Berlin mit einem Streik. Ein Unparteiischer spricht über die Attacke auf ihn – und nimmt die Verbände in die Pflicht.
Manchen Unparteiischen vergeht mehr und mehr die Lust auf ihr Hobby. Für Honorare von etwa 20 bis 30 Euro und eine Kilometerpauschale von 30 Cent müssen sich die Schiedsrichter in ihrer Freizeit immer häufiger beleidigen, schlagen oder bespucken lassen. Schlimme Beschimpfungen haben harmlosere „Kauf dir mal eine neue Brille“-Frotzeleien mittlerweile verdrängt.
Dass die Anfeindungen gegenüber den Unparteiischen zunehmen, zeigt auch das „Lagebild Amateurfußball“, das der DFB jährlich herausgibt. Laut der erfassten Spielberichte wurden in der Saison 2018/2019 Schiedsrichter 2.906 Mal angegriffen. Im Vergleich zur Vorsaison mit 2.866 Attacken ist das ein Anstieg, obwohl insgesamt rund 50.000 weniger Spiele stattfanden. „Der bessere Schutz unserer rund 58.000 Schiedsrichter gehört zu den wichtigen Aufgaben des DFB“, teilt der Verband in seinem Lagebericht mit. Der Berliner Fußball-Verband etwa kooperiere mit der Hilfsorganisation „Weißer Ring“ und biete geschädigten Schiedsrichtern eine psychologische Beratung an, verkündet der DFB im Sommer stolz – nur einige Wochen vor dem Streik.
„Auf den Plätzen hier ist der DFB so weit weg wie Deutschland von China“
Doch die starken Worte verpuffen irgendwo zwischen der DFB-Zentrale in Frankfurt und den vielen Sportplätzen der Republik, auf denen sich Schiedsrichter fragen, was der Verband konkret verändern will. „Auf den Plätzen hier ist der DFB so weit weg wie Deutschland von China entfernt ist. Die sind jetzt endlich mal gefordert, die Akzeptanz von Schiedsrichtern auch aktiv zu verbessern“, sagt Isenberg. Teils werden die Strafen der Sportgerichte für gewalttätige Spieler als zu milde angesehen. Im Westdeutschen Fußballverband ist bei einem tätlichen Angriff beispielsweise eine Sperre von mindestens einem Jahr bis zu drei Jahren vorgesehen, in besonders schweren Fällen können Spieler auch bis zur Dauer von acht Jahren vom Spielbetrieb ferngehalten werden. Einigen Unparteiischen reicht das nicht. Sie fordern die Möglichkeit, auch lebenslange Sperren zu verhängen.
Markus Isenberg fährt nach dem Spiel in Fredeburg ins Krankenhaus. Es sei besser, die Verletzungen ärztlich dokumentieren zu lassen, raten ihm die Polizeibeamten vor Ort. Für die spätere Verhandlung vor dem Sportgericht und den Zivilprozess vor Gericht. Der FC Fatih Türkgücü, für den der verantwortliche Spieler auflief, reagiert umgehend, entschuldigt sich bei Isenberg und schließt den Spieler aus dem Verein aus. In den Tagen danach denkt Isenberg unentwegt an das Geschehene. War es vielleicht doch persönlich? Hat er im Spiel etwas übersehen? Drei Tage nach dem Vorfall ruft ihn der Schläger an und entschuldigt sich. Es habe nicht an ihm als Person gelegen, sondern sei eine Kurzschlussreaktion wegen der langen Nachspielzeit gewesen, versucht sich der 22-Jährige zu erklären. Verstehen kann Isenberg die Attacke immer noch nicht, aber er fühlt sich besser.