3:1 – Nach acht Jahren siegt der Hamburger SV zum ersten Mal wieder im Bremer Weserstadion. Dank einer guten Leistung und eines völlig missratenen Freistoßes – unser 11konf-Moment der Woche.
Wer dieser Tage durch die Hansestadt Hamburg schlendert, reibt sich verwundert die Augen. Kleine Kinder laufen wieder mit stolzem Grinsen und HSV-Schal über den Jungfernstieg. Am Volksparkstadion wurden lachende Gesichter gesichtet. Sogar im Karoviertel, nahe dem Millerntor, sollen Fahnen mit der Raute gesehen worden sein. Und die Morgenpost titelte heute Morgen auf dem Tresen der Schanzenbäckerei, dass Pierre-Michel Lassogga tatsächlich im Derby gegen Bremen auflaufen könne. Mit einem positiven Unterton.
Vor einem halben Jahr sah das noch ganz anders aus. Da stand Marcelo Diaz in der 90. Minute an einem Strafraum in Karlsruhe. Schaute kurz hoch, lief an, hob den Ball sachte über die Mauer und schoss den Hamburger SV in die Verlängerung der Relegation. Der Rest ist Geschichte, wie der Geschichtenschreiber so gern schreibt. Neben mir saß in diesem Moment ein befreundeter Bremen-Fan. Der sprang auf und fluchte. Über den Hamburger SV, das elendige Glück und all den Dusel, der ja noch viel schlimmer und größer als der des FC Bayern sei. Und sowieso sei die Relegation ein echter Witz, nur von der DFL geschaffen, um Vereine wie den HSV zu retten. Ein Wohnzimmertisch konnte vor seinem Ende nur durch beherztes Eingreifen gerettet werden.
Heute hätte ich das Gesicht dieses Bremen-Fans gerne in der 26. Minute gesehen. Da lief Hamburgs Michael Gregoritsch (- Greeeegoritsch ausgesprochen!)aus circa 30 Metern an, um einen Freistoß gen Bremer Tor zu hämmern. Vermutlich hätte dieser Versuch sein Ziel um Längen verfehlt, hätte Werders Zlakto Junuzovic mit seinem Rücken den Ball nicht unhaltbar abgefälscht. Auf der Bremer Ostkurve war da bereits ein ahnendes Raunen vernehmen. Dann landete eine seltsame Bogenlampe bereits an der linken Torseite im Netz. Auf eigene Weise wunderschön – und doch so glücklich. Der Unterschied zu Karlsruhe: Das war kein Dusel. Dieses Geschenk war nahezu hochverdient. Denn beim HSV hat sich irgendetwas verändert.
Lieber @WolffFuss! Es heißt „Greeegoritsch“ und nicht „Gregoooritsch“ – das tut uns Österreichern akustisch weh. ;) #SVWHSV #LegiÖs
— 12terMann.at (@12terMann_AT) 28. November 2015Selbstbewusst von Beginn an, trotz der zahlreichen Ausfälle um Albin Ekdal, Gojko Kacar oder Emir Spahic, spielte der HSV auf und ging durch einen Schlenzer von Ivo Ilicevic nach zwei Minuten in Führung. Ein Traumtor, das in der vergangenen Saison ganz bestimmt nicht gefallen wäre. Im Training. Ohne Gegenspieler.
Wenn du Gold am Fuß hast, hast du Gold am Fuß. #svwhsv #Gregoritsch
— Daniel Jovanov (@JovanovDaniel) 28. November 2015Dass die Hamburger mit 21 Punkten aus 14 Spielen deshalb die beste Saison seit fünf Jahren spielen, ist eigentlich gar nicht so verwunderlich. Man sollte sich einfach nur an die letzten fünf Jahre zurückerinnern. Als Tabellensechster könnten Spieler und Verantwortliche sogar von Europa träumen. Das machen sie nicht – ganz im Gegenteil. Und genau das lässt hoffen. „Mit dem Erfolg kommt Vertrauen“, meinte Kapitän Johan Djourou in der Mixed-Zone nach dem Spiel, „aber ich sage es immer wieder: Wir müssen weiterarbeiten.“ Abgesehen vom Freistoß, scheint noch niemand abgehoben. Die Anhänger sollten beten, dass das vorerst so bleibt.
Lewis #Holtby, Sprichwort-Erfinder: „Demut kommt vor dem freien Fall.“ #SVWHSV
— Hendrik Buchheister (@h_buchheister) 28. November 201521 Punkte hat der elendsgebeulte Klub aus Stellingen. Keine Wunderzahl, aber zumindest elf Punkte mehr als der VfB Stuttgart, der zurzeit auf dem Relegationsrang steht und ganz andere Probleme hat. „Für unsere Fans, die so mit uns gelitten haben, tut das richtig gut“, wusste auch Trainer Bruno Labbaddia, dass jetzt ein paar ruhige Wochen für ihn und das Team anstehen könnten. Dank eines sechsten Tabellenplatzes, dank eines 3:1 gegen Borussia Dortmund, dank des Derbysiegs.
Denn ausgerechnet sein Kollege von der Weser, Victor Skripnik, sagte vor dem Spiel: „Im Nordderby kannst du dich für alles rehabilitieren oder ganz tief fallen.“ Mit dem 0:6 in Wolfsburg im Rücken und der Derbyniederlage stehen die Bremer spätestens jetzt wieder mitten im Abstiegskampf. Das gestand auch Philipp Bargfrede nach Spielschluss unumwunden ein. Immerhin hatte der Verein entschieden, dass Alkohol im Stadion während des Spiels ausgeschenkt wurde. In weiser Vorrausicht? Anders war diese Vorstellung wohl kaum zu ertragen.
Entgegen der Gerüchte herrscht kein Alkoholverbot im Stadion. #werderservice
— Werder-Service (@werder_service) 27. November 2015Manager Thomas Eichin wollte von einer Trainerdiskussion überhaupt nichts wissen. Dass die Bremer bei einem Stuttgarter Sieg am Sonntag in Dortmund (nun gut, das ist schon sehr theoretisch) auf dem Relegationsplatz landen, sollte dennoch jedem zu denken geben. Die Verhältnisse im Norden haben sich spätestens seit 17.20 Uhr gedreht. Zugegeben: Mit etwas Dusel, aber den könnte Werder im kommenden Juni ja vielleicht auch noch gebrauchen.
Die erste Derby-Niederlage,die ich live erlebt habe:ich fühle mich wie ein kleines Mädchen,dessen Haustier getötet wurde.#Nordderby #svwhsv
— Hatice Ince (@HatinJuce) 28. November 2015