Der Rassismus war nie weg aus dem deutschen Fußball, er hat nur sein Gesicht verändert. Zum internationalen Tag gegen Rassismus erzählen sieben Spieler von ihren Erfahrungen – auf dem Platz und im Alltag.
Geboren in Mampong, Ghana. Kam 1990 als Zwölfjähriger nach Deutschland und spielte in der Bundesliga u. a. für Hannover 96 und Schalke 04. Zwischen 2001 und 2006 machte er 43 Länderspiele für Deutschland und nahm an der WM 2006 teil. Er ist Schulpate beim deutschlandweiten Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Heute arbeitet er als Teammanager des FC Schalke 04.
Ich habe in meinem Leben immer wieder Rassismus erlebt. Ich wurde wegen meiner Hautfarbe beschimpft und mit Bananen beworfen. Ich wurde wegen meiner Herkunft verächtlich angeschaut und abgewiesen. Manchmal höre ich, dass ich zu empfindlich reagiere. Aber ich sage dann: Wenn du Rassismus nie am eigenen Leib erlebt hast, weißt du nicht, wie es sich anfühlt.
Mein Vater hat in Ghana als Journalist gearbeitet und wurde deswegen politisch verfolgt. In den Achtzigern ist er mit meiner Mutter nach Deutschland geflüchtet. Ich wuchs erst mal bei meiner Oma in dem Dorf Mampong auf, 300 Kilometer nördlich von Accra. Einmal brachte meine Mutter bei einem Heimatbesuch den Otto-Katalog mit. Von da an war Deutschland für mich das Otto-Katalog-Land, ein Wunderland, in dem alles sehr ordentlich aussah und die Menschen gut gekleidet waren.
Meine Geschwister und ich sind 1990 zu meinen Eltern nach Hannover gezogen. Mein Vater arbeitete längst nicht mehr als Journalist, er war nun bei einem Autoreifenhersteller tätig. Später hat er als Straßenfeger gearbeitet, und noch später machte er einen Afrika-Shop auf.
Ich kannte weiße Menschen bis dahin nur aus jenem Otto-Katalog und vor allem aus dem Fernseher. Vermutlich ging es meinen Mitschülern mit schwarzen Menschen ähnlich, denn in meiner Schule war ich der einzige Schwarze. Ich hatte aber Glück und kam in eine Klasse, die mich akzeptierte. Auch eine Lehrerin war super, sie hat mir vieles auf Englisch erklärt. Nur auf dem Schulhof gab es manchmal Stress, und ein paar Mal habe ich mich auch geprügelt. Ich würde meinen Kindern heute sagen, dass das nicht der richtige Weg ist, für mich war es damals der einzige Weg, denn mit Worten konnte ich mich nicht wehren, ich sprach ja kaum Deutsch. Ein Junge hatte es besonders auf mich abgesehen, ständig beschimpfte er mich mit dem N‑Wort.
Mein Vorbild war Anthony Yeboah. Ein toller Spieler aus Ghana, der es in Deutschland geschafft hatte. Als ich auch Profi wurde, ging ein Traum in Erfüllung. Ich weiß noch, wie ich meinen ersten Vertrag unterschrieb und dann stolz und überglücklich meinen neuen Mercedes abholte. Ich fuhr vom Parkplatz und fünf Minuten später schon hielt mich ein Polizeiauto an. Die Beamten waren skeptisch, weil ein Schwarzer am Steuer eines solchen Wagens saß.
„Ich weiß, dass viele andere Schwarze stärker unter Rassismus leiden als ich“
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich mal in einem Billardladen abgewiesen wurde und was das für ein Schmerz war. „Nur für Stammgäste“, log der Wirt. Ich fragte: „Wie soll ich Stammgast werden, wenn ich nicht reinkomme?“ Ein anderes Mal wurde ich am Eingang einer Diskothek weggeschickt. Ich war damals schon Nationalspieler, aber der Türsteher hatte mich nicht erkannt, weil ich eine Kapuze auf hatte. Als ich sie abzog, sagte er: „Ach, Herr Asaomah, sagen Sie doch gleich, dass Sie das sind.“
Ich weiß, dass viele andere Schwarze stärker unter Rassismus leiden als ich. Fragen Sie mal meine Freunde, meine Geschwister oder meine Frau. Die haben nicht das Glück, als ehemaliger Nationalspieler erkannt zu werden. Die können keine Kapuze abziehen. Und für diese Menschen mache ich mich stark. Deswegen erzähle ich diese Geschichten.
Die schlimmste Erfahrung beim Fußball habe ich 1997 in Cottbus gemacht. Bei Hannover spielte damals auch mein Freund Otto Addo. Wir wurden 90 Minuten rassistisch beschimpft, von der Tribüne, aber auch auf dem Platz. Es flogen Bananen. Die wollten Otto und mich fertigmachen. Später wurde ich oft gefragt, warum ich in solchen Situation den Platz nicht verlasse. So wie es zum Beispiel Kevin-Prince Boateng getan hat, als er rassistisch angefeindet wurde. Ich kann ihn verstehen, aber jeder muss das für sich selbst entscheiden. 2006 in Rostock, als es auch schlimm war, fragte mich mein Trainer sogar, ob er mich runternehmen solle. Ich lehnte ab, weil ich dachte, die Rassisten hätten dann erreicht, was sie wollten. Ich spielte also weiter, wir gewannen 9:1, und ich machte zwei Tore. Trotzdem war ich an jenem Tag sehr traurig und wütend, schließlich hatten wir noch wenige Wochen zuvor alle gemeinsam das Sommermärchen gefeiert. Eine WM, die, so sah es nach außen aus, alle Länder und Nationalitäten vereinigte.
Ich habe mich damals gefragt, ob Deutschland wirklich das Land ist, das ich repräsentieren will. Aber ich habe auch gesehen, dass es viele Leute gibt, die es gut finden, dass ich Deutscher bin und für die DFB-Elf spiele. Und dass diese Leute in der Mehrheit sind.
Natürlich betrübt es mich, dass wir 2020 immer noch über Rassismus sprechen. Es ist auch hart, dass ein Spieler immer noch im Stadion rassistisch beleidigt wird, wie es Anfang des Jahres bei einem Spiel zwischen Münster und Würzburg geschehen ist. Andererseits hat mich die Reaktion der Zuschauer glücklich gemacht. Die Preußen-Fans haben den Rassisten gemeinsam aus dem Stadion befördert und sich mit dem beschimpften Spieler Leroy Kwadwo solidarisiert. Sie sind aufgestanden gegen Rassismus. Sie haben den Mund aufgemacht. Das ist so wichtig.
Geboren und aufgewachsen in Bochum. Wechselte 2019 von Hansa Rostock zu Arminia Bielefeld und debütierte im selben Jahr für die Nationalmannschaft Benins.
Ich habe Situationen erlebt, die man als rassistisch interpretieren könnte. Vor einiger Zeit wollte ich zum Beispiel bei einem Juwelier einen Verlobungsring kaufen. Ich sagte dem Verkäufer, der Preis sei egal, aber er zeigte mir Ringe für dreißig Euro. Ich sagte, nein, die gefallen mir nicht. Darauf sagte er, dass die anderen vermutlich zu teuer seien. Ich sagte noch mal: „Der Preis spielt keine Rolle.“ Er schien irritiert, und ich blickte zur Seite. Am Nachbartresen wurde ein weißes Paar sehr viel freundlicher und kompetenter bedient. Dort spielte der Preis tatsächlich keine Rolle.
Ich habe mich danach gefragt, ob es an meiner Hautfarbe lag. Dachte der Mann, ein Schwarzer könnte sich teuren Schmuck nicht leisten? Oder aber hatte es doch eher mit meinem Outfit zu tun? Das weiße Paar war jedenfalls sehr seriös angezogen, ich trug eine Trainingshose, Fußballer-Style eben.
Ich möchte Rassismus nicht kleinreden. Ich weiß, dass wir auch in Deutschland ein Problem damit haben. Aber ich empfinde einige Momente, die andere als rassistisch einstufen, nicht als rassistisch. Oder anders: Auch weiße Freunde von mir kommen nicht immer in Diskotheken rein. Weil sie die falsche Kleidung tragen oder aus anderen fadenscheinigen Gründen. Ich habe das Gefühl, dass es da draußen viele Menschen gibt, die gerne ihre Machtposition ausnutzen. Türsteher oder Polizisten. Und oft spielt Geld eine wichtige Rolle. Ich komme erst in Clubs, seit ich vorher anrufen und mir einen Tisch reservieren kann.
„Das fand ich brutal geil“
Ich kenne natürlich die Frage nach der Herkunft. Ist sie rassistisch? In einer Fußballmannschaft stammt selten jemand aus der Stadt, in der man spielt. Also wirst du als Neuer ständig gefragt, wo du herkommst. Es kommt doch immer drauf an, wie die Frage gestellt wird. Wenn ich merke, die Leute stehen mir positiv gegenüber und sind neugierig und interessiert, dann antworte ich auch. Ich sage dann: Aus Bochum, mein Vater ist aus Benin, meine Mutter gebürtige Deutsche, schau mal, ich bin nicht ganz so dunkel.
Ich glaube, in den USA ist der Rassismus viel extremer. Der Tod von George Floyd hat mich schockiert und sehr beschäftigt. Ich habe danach über ein Statement nachgedacht. Wenn ich im darauf folgenden Spiel ein Tor geschossen hätte, hätte ich auf meine Haut unter dem Auge gezeigt. Aber ich habe kein Tor geschossen. Erst vier Spiele später, da war das irgendwie zu spät, glaubte ich.
Glücklich gemacht hat mich die Reaktion der Fans in Münster, nachdem Leroy Kwadwo rassistisch beleidigt wurde. Sie haben den Rufer in ihren eigenen Reihen ausfindig gemacht und hinausgeworfen. Am nächsten Spieltag gab es auch bei uns im Stadion die Durchsage, dass Arminia keine Rassisten toleriert. Und wenn sich doch jemand rassistisch äußert, bekommt er lebenslanges Stadionverbot. Danach hat das ganze Stadion applaudiert. Das fand ich brutal geil.
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