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Der Taxi­fahrer am Haupt­bahnhof will es gar nicht glauben. Sicher? Zur Geschäfts­stelle in der Koper­nikus-Straße? Kri­ti­scher Schul­ter­blick. Gibt es außer­halb Ros­tocks tat­säch­lich noch Men­schen, die sich für Hansa inter­es­sieren?“ Aber klar, gerade jetzt, da der Verein doch im DFB-Pokal auf Hertha BSC trifft, erste Runde, Mon­tag­abend-Spiel, zur abso­luten Prime-Time im öffent­lich-recht­li­chen Fern­sehen. Nix davon gehört?

Hhhmmmm“, mur­melt der Fahrer und braust durch die Stadt, hinein ins Hansa-Viertel, vorbei an unend­lich vielen Wohn­häu­sern und zwei Schrift­zügen, die immer und immer wieder auf­tau­chen. An Brü­cken, Ver­kehrs­schil­dern, Wohn­häu­sern, Geschäften, ein­fach überall. FCH“. Oder: A.F.D.F.C.H“. Alles für den FC Hansa, ein alter Leit­spruch unter lokalen Fuß­ball­fans.

Schneider spülte Geld in die Kasse

In Ros­tock, das ist offen­sicht­lich, kann sich der FC Hansa wei­terhin auf die Unter­stüt­zung einer breiten Basis ver­lassen, da können sie die Graf­fitis von der Stadt noch so oft ent­fernen lassen. Aber sonst? Was ist geworden aus dem Verein, der einst als Vor­zei­ge­ob­jekt unter den DDR-Ober­li­gisten galt, der man­gels erst­klas­siger Alter­na­tiven Anhänger aus allen neuen Bun­des­län­dern an die Küste zog? Der FC Hansa hat in den ver­gan­genen Jahren einen bei­spiel­losen Abstieg bis an den Rand der Viert­klas­sig­keit erlebt. Ist über­haupt wieder mit Hansa zu rechnen? Oder geht das jetzt ewig so weiter, gefangen in der Abwärts­spi­rale?

Zur Klä­rung dieser Frage gibt es viel­leicht keinen bes­seren Gesprächs­partner als René Schneider. Der gebür­tige Schwe­riner hat die großen Ros­to­cker Fuß­ball-Jahre in der Nach­wen­de­zeit aktiv mit­ge­staltet, als die Meck­len­burger Jahr für Jahr die Bun­des­liga über­raschten. Bei Hansa ist Schneider zum ersten gesamt­deut­schen Natio­nal­spieler des Ver­eins auf­ge­stiegen, 1996 stand er im EM-Kader von Berti Vogts, und wenig später brachte er den Ros­to­ckern mit seinem Wechsel nach Dort­mund die für dama­lige Ver­hält­nisse stolze Ablö­se­summe von vier Mil­lionen D‑Mark ein.

Ros­tock ist ein Pul­ver­fass

Schneider kennt also die guten, alten Zeiten, in denen Maschine und die Puhdys regel­mäßig live das Sta­dion bespielten und die Welt sport­lich mehr als in Ord­nung war. Gleich­wohl ist er ein Gesicht für den Umbruch, der die Ros­to­cker in abseh­barer Zeit wieder zurück in die Zweite Liga führen soll. Seit einem Jahr küm­mert sich der ehe­ma­lige Ver­tei­diger um sämt­liche sport­liche Belange im Verein, von den Profis bis zum Nach­wuchs. Er ist gewis­ser­maßen Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukunfts­planer in einer Person.

Schneider emp­fängt in seinem Arbeits­zimmer im Büro­trakt des Ostsee-Sta­dions. Ein paar Tage vorher sind die Ros­to­cker mit einem Sieg in die Dritt­liga-Saison gestartet, Schneider ist gut drauf und für einen Nord­deut­schen recht gesprä­chig. Also, warum aus­ge­rechnet Hansa? Schneider lächelt, dank­barer Ein­stieg. Als das Angebot kam, gab es nicht viel zu über­legen. Ich wusste zwar, dass Hansa Ros­tock ein kleines Pul­ver­fass ist, aber für mich ist das eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit“, sagt er, nicht umsonst bin ich nach der aktiven Kar­riere wieder in Meck­len­burg gelandet.“

Kleines Pul­ver­fass ist noch eine nette Umschrei­bung für das, was der Verein in den ver­gan­genen Jahren erlebt hat. Unab­hängig vom sport­li­chen Nie­der­gang erlangte Hansa immer wieder zwei­fel­hafte Berühmt­heit, weil sich Teile des Anhangs ein­fach nicht zu benehmen wussten, ins­be­son­dere auf Aus­wärts­touren.

2006 zer­legten 450 gewalt­be­reite Fans den Stend­aler Bahnhof. Vor drei Jahren lau­erten Ros­to­cker Hoo­li­gans am Schwe­riner Haupt­bahnhof durch­rei­senden Hertha-Fans auf, und erst in dieser Woche ver­ur­teilte der Deut­sche Fuß­ball-Bund (DFB) den Verein erneut: Wegen unsport­li­chen Ver­hal­tens in elf Fällen ver­fügte das DFB-Sport­ge­richt einen Kom­plett-Aus­schluss der Fans für vier Aus­wärts­spiele, dar­unter die hoch­bri­santen Begeg­nungen beim 1. FC Mag­de­burg und in Jena. Auch das Pokal­duell mit Hertha BSC am Mon­tag­abend wird selbst­ver­ständ­lich unter ver­schärften Sicher­heits­vor­keh­rungen statt­finden.

Der Vor­sprung ist längst auf­ge­braucht

Gerade weil das Spiel end­lich mal wieder eine gute Platt­form für den Verein bietet, hoffen sie in Ros­tock, dass alles ruhig bleibt. Neben Bayern und Dort­mund, die man sich als unter­klas­siger Verein immer wünscht, ist Hertha das beste Los, das wir kriegen konnten. Ich will nicht von einem Derby spre­chen, aber Berüh­rungs­punkte gab es in der Ver­gan­gen­heit ja immer wieder“, sagt Schneider. Etwa 1995, als Hansa – wie sollte es anders sein – wegen ran­da­lie­render Fans für zwei Spiele ins Hertha-Wohn­zimmer, ins Ber­liner Olym­pia­sta­dion umziehen musste und jeweils knapp 60.000 Zuschauer kamen. Oder durch Spieler, die zwi­schen den Klubs hin- und her­wech­selten, Marko Rehmer etwa oder Stefan Bein­lich. Letzt­malig standen sich die beiden Klubs in der Bun­des­liga 2008 gegen­über, gute alte Zeit. Im neu­er­li­chen Auf­ein­an­der­treffen ist Hansa, der Dritt­li­gist, klarer Außen­seiter gegen den Euro­pa­po­kal­teil­nehmer aus Berlin. Ande­rer­seits haben sie sich in Ros­tock schon an diese Rolle gewöhnt.

Der Vor­sprung auf die großen DDR-Tra­di­ti­ons­klubs, den sich Hansa in zehn Jahren Bun­des­liga-Zuge­hö­rig­keit zwi­schen 1995 bis 2005 erar­beitet hatte, ist längst auf­ge­braucht, schlimmer noch: viele Klubs haben die Ros­to­cker sport­lich und wirt­schaft­lich abge­hängt. Volles Sta­dion, TV-Spiele, Top-Atmo­sphäre, geschichts­träch­tige Duelle – das gibt es beim 1. FC Union in Berlin-Köpe­nick und Dresden regel­mäßig. Selbst unter den anderen eins­tigen DDR-Ober­li­gisten, mit denen Hansa heute in Liga drei kon­kur­riert, waren die Ros­to­cker in der abge­lau­fenen Saison die schlech­teste Mann­schaft.

Denkt hier jemand lang­fristig?

Wenn ich das sehe, tut es mir in der Seele weh“, sagt Sebas­tian Rohde, 37, Hansa-Fan seit Kind­heits­tagen. Sein Groß­vater, erzählt er, habe beim Bau des Ostsee-Sta­dions noch selbst Hand ange­legt, irgend­wann Ende der 80er ging er dann zum ersten Mal mit seinem Vater zu einem Hansa-Spiel. Ich glaube gegen Eisen­hüt­ten­stadt.“ Als Jugend­li­cher richtet Rohde seinen Ter­min­ka­lender am Spiel­plan des Ver­eins aus, ist auch aus­wärts immer dabei.

Heute geht er wei­terhin zu jedem Heim­spiel und zu aus­ge­wählten Aus­wärts­spielen, Mag­de­burg etwa stand auf dem Plan, aber das ist ja nun hin­fällig. Rohde sagt: Ich würde auch in der sechsten Liga noch zu Hansa gehen. Aber ich erwarte auch, dass wir irgend­wann wieder Zweite Liga spielen.“ Für eine Stadt wie Ros­tock sei das nicht unrea­lis­tisch, findet Rohde. Aber dafür muss man lang­fristig denken und darf nicht so planen, wie das hier über Jahre pas­siert ist.“

Bestän­dig­keit – genau daran hat es dem FC Hansa zuletzt auf nahezu allen Ebenen gefehlt. Pavel Dot­chev zum Bei­spiel ist bereits der achte Chef­trainer, der sich in den letzten drei Jahren an Hansas Profi-Team ver­su­chen darf. Gemessen daran ist der Ham­burger SV ein sou­verän geführter Verein. So weit zur sport­li­chen Gemenge­lage.

Wirt­schaft­lich ver­liefen die Jahre nach dem zweiten Bun­des­liga-Abstieg 2008 ähn­lich tur­bu­lent. Der FC Hansa stand mehr­fach am Rande der Auf­lö­sung, 2012 musste sogar die Stadt ein­greifen, um den schlimmsten Fall zu ver­hin­dern: sie half mit einem mil­lio­nen­schweren Paket und erließ dem Verein unter anderem Steu­er­ver­bind­lich­keiten, die das sichere Aus bedeutet hätten. 2015 pas­sierte schließ­lich auch in Ros­tock das, was unter Fuß­ball­fans natur­gemäß kon­tro­verse Dis­kus­sionen aus­löst: Hansa öff­nete sich für einen Investor. Mit einem Dar­lehen in Höhe von vier Mil­lionen Euro ret­tete Rolf Elgeti dem Klub damals die Lizenz.

Elgeti und die Zukunft

Später beglich er wei­tere offene Rech­nungen, etwa die für den Sta­dion-Neubau. Und die Fans wun­derten sich: Rolf wer? Schließ­lich war Elgeti, Sohn eines meck­len­bur­gi­schen Land­wirts und erfolg­rei­cher Aktien-Ana­lyst, zuvor nie groß in Sachen Fuß­ball in Erschei­nung getreten, unter den Fans scheiden sich an ihm bis heute die Geister. Im Sommer 2017, so scheint es, haben sie in Ros­tock ihren Frieden mit Elgeti gemacht. Die zen­trale Frage ist natür­lich: Wie sehr mischt er sich in Zukunft ein?“, sagt Sebas­tian Rohde, ohne ihn würde es den FC Hansa jeden­falls nicht mehr geben.“

Ohne Elgeti wären alle Struk­turen weg­ge­bro­chen, auch der kom­plette Nach­wuchs­be­reich, der den Verein am Leben hält. Aller­dings wirkt sich die Dritt­liga- Zuge­hö­rig­keit auch zuse­hends negativ auf die Jugend­mann­schaften im Verein aus. Wenn wir in der C‑Jugend zwei, drei Rie­sen­ta­lente haben, werden die im Nor­mal­fall von anderen Ver­einen abge­worben, da müssen wir uns nichts vor­ma­chen“, erzählt Schneider. Man hofft natür­lich immer, den ein oder anderen zu den Profis durch­zu­be­kommen, aber das wird in der Dritten Liga nicht ein­fa­cher. Des­halb dürfen wir nicht jam­mern und müssen die Gege­ben­heiten akzep­tieren. Wenn wir gute Ver­träge stri­cken und für unsere Nach­wuchs­spieler eine ver­nünf­tige Aus­bil­dungs­ent­schä­di­gung bekommen, ist uns auch geholfen.“

Das sieht end­lich wieder nach Fuß­ball aus“

Für den Moment hat zumin­dest das Pro­fi­team einen guten Ein­druck hin­ter­lassen, mit sieben Punkten aus vier Spielen steht Hansa im vor­deren Tabel­len­drittel und hat vor­sich­tige Erwar­tungen geweckt. Mein Ein­druck ist: Wir haben eine junge Mann­schaft, die sich den Arsch auf­reißt“, sagt Sebas­tian Rohde, das sieht end­lich wieder nach Fuß­ball aus.“ So ganz traut der 37-Jäh­rige dem Braten aller­dings noch nicht, dafür hat er, dafür hat der Verein in den letzten Jahren viel zu viel erlebt. Ich bin schon froh, wenn es keine Neben­kriegs­schau­plätze mehr gibt und ein­fach Ruhe im herrscht.“

Damit könnte auch René Schneider leben. Für ein Sai­son­ziel ist es noch ein biss­chen zu früh“, sagt der Sport­vor­stand, aber ich habe den Ein­druck, dass die Leute nur darauf warten, dass Hansa wieder guten und erfolg­rei­chen Fuß­ball spielt.“ Am besten schon Mon­tag­abend im Pokal­spiel gegen Hertha BSC.