Wolfgang Fuhr, zuletzt präsentierte der DFB als erstes Ausstellungsstück des neuen Fußballmuseums in Dortmund den Original-Finalball von 1954. Der Spiegel berichtete nun, dass es sich dabei nicht um den Originalball handeln kann, da dieser zeitgleich im Bonner „Haus der Geschichte“ ausgestellt wurde. Wie symptomatisch ist diese Art der Täuschung in Ihrem Geschäft mit Fußball-Memorabilia?
Diese Täuschungsversuche sind alltäglich. Das Problem ist, dass der Handel mit Fußball-Memorabilia noch sehr jung ist. Es gibt kaum Experten. Gleichzeitig werden ständig neue Fußballmuseen eröffnet. So steigt die Nachfrage nach Raritäten massiv an. Die Angestellten in diesen Museen mögen museal und wissenschaftlich einwandfrei arbeiten und sporthistorisch sehr bewandert sein, aber meist fehlt dann das Wissen über die dinglichen Zusammenhänge.
Was meinen Sie damit?
Schauen wir nur in den Bereich Eintrittskarten: Da liegt die Fälschungsrate schätzungsweise bei über 80 Prozent. Viele wissen nicht, wie sich eine Finalkarte von 1954 anfühlt. Welches Papier wurde seinerzeit verwendet? Welches Druckverfahren? Man darf mittlerweile nicht mehr jedem glauben, der seriös autritt und etwas anbietet.
Hand aufs Herz, wie groß ist die Gefahr eine Fälschung zu kaufen?
Sehr groß. Es wird einfach alles Mögliche angeboten. Ein Beispiel: 2004 gab es eine Ausstellung in Speyer, bei der Ottmar-Walters-Endspieltrikot präsentiert wurde. Wir wussten, dass es echt war. Gleichzeitig hat jemand uns dieses Trikot angeboten. Ich habe dem Anbieter gesagt, dass ich es in die Auktion aufnehme, aber betonen muss, dass es nicht das Endspieltrikot sein kann. Alles andere wäre eine Täuschung gewesen. Betrug. Doch den Anbieter blieb bei seiner Version, dass er im Besitz des Original-Finaltrikots sei.
Haben Sie den Weg des Trikots verfolgt?
Später tauchte das Trikot in einem englischen Auktionshaus auf, wurde als Endspieltrikot angeboten und schlussendlich verkauft. Wissen Sie, es gibt keine Grenze mehr. Früher hat man versucht die Knochen von Jesus zu verkaufen, heute werden eben Fußballtrikots gehandelt.
Kann man konkret sagen, wie hoch die Fälschungsrate auf dem Markt ist?
Bei den Fußball-Autographen liegt sie wohl locker bei 50 Prozent. Bei Tickets liegt sie noch höher. Jüngst wurden aus Uruguay massenweise gefälschte Tickets von den Weltmeisterschaften 1930 und 1950 auf den Markt gebracht. Realistisch geschätzt liegt die Fälschungsquote in diesem Bereich über 90 Prozent.
Wer ist der größte Feind der seriösen Sammler?
Seit der Erfindung der Online-Auktionshäuser blüht die Fantasie der Menschen ins Unermessliche. Was es da für Geschichten erzählt werden, ist zum Teil haarsträubend. Das Finaltrikot von Franz Beckenbauer aus dem Jahr 1974 wird uns praktisch monatlich angeboten. So viele Trikots kann selbst der Kaiser nicht getragen haben.
Wie ist es im Vergleich zum Kunst- oder Antiquitätenhandel?
Das ist eine andere Welt. In diesen Bereichen gibt es eine Tradition, allein was dort an Schrifttum vorhanden ist, um die Echtheit der antiken Stücke zu verifizieren. Von diesen Absicherungen kann man beim Handel mit Fußball-Memorabilia nur träumen.
Wie kann man dem ausufernden Angebot entgegentreten?
Wir von Agon versuchen derzeit eine Initiative zu starten, um allein im dokumentarischen Bereich mehr Überblick in den Markt zu bringen.
Es gibt also bald ein Gütesiegel für Fußball-Antiquitäten?
Wir setzen uns dafür ein, dass zumindest die Händler, die Originalstücke anbieten, zertifiziert werden. Nur so kann der Käufer sicher sein, dass er nicht betrogen wird. Dieses Zertifikat muss strengen Regeln unterliegen. Wer gegen die verstößt, bekommt es wieder abgenommen.
Wie gehen Sie vor, um Echtes von Falschem zu unterscheiden?
Oft reicht doch schon ein Blick in die Fotoarchive. Da sieht man doch, wie das Trikot im Finale 1974 ausgesehen hat. Aber selbst diesen einfachen Weg sparen sich mancher vermeintliche Sammler. Auch bei der Ball-Posse des DFB wurden Fehler gemacht. Auf dem präsentierten Ball prangt der Schriftzug „Champion“. Ein Blick in die Jahrbücher hätte gereicht, um zu zeigen, dass der originale Finalball ohne diesen Schriftzug auskam. Da hätte man durchaus skeptisch werden können.
Aber das kann nicht ausreichen. Von manchen Gegenständen gibt es schlichtweg keine Bilder.
Bei besonders teuren Gegenständen recherchieren wir bis ins kleinstmögliche Detail. Zuletzt wurde uns die Ersatz-Meisterschale von 1971 angeboten. Da muss man schon Mal in Gladbach anrufen und die Beteiligten fragen: Wurde diese Schale überhaupt übergeben? Das wurde bestätigt und wir wissen nun: Die Schale ist echt. Bei so exponierten Objekten muss alles wasserdicht sein, sonst wird es einfach nur peinlich.
Wie groß ist der Markt für Fußball-Sammlerstücke?
Wir haben in Deutschland erst 1999 mit dem Handel angefangen und waren Pionoere. Auch in England, dem Mutterland des Memorabilia-Handels, gibt es den Markt erst seit knapp 20 Jahren. Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen mitmischen, denn der Markt ist nicht einheitlich. Ich schätze, dass es weltweit 3000 bis 4000 Menschen gibt, die ernsthaft sammeln. Der Markt ist also eher überschaubar.
Wo findet der Handel überwiegend statt?
Die wertvollen Sachen werden ausschließlich auf Auktionen gehandelt. Wir veranstalten drei internationale Verkäufe pro Jahr. Bei Internetauktionshäusern ist Betrügern schon eher Tür und Tor geöffnet. Da ist nicht nachweisbar, ob es sich um echte oder falsche Sachen handelt. Dann ist da noch der Handel unter den Sammlern selbst. Dort werden Dinge gehandelt, die nie auf den freien Markt kommen werden.
Wer sind die Big Player auf dem Markt?
In England brummt das Geschäft. Auch die Brasilianer sind ganz verrückt nach Raritäten. In Zukunft wird viel nach Russland gehen und mit dem Zuschlag für die WM 2022 werden auch immer mehr solvente Sammler aus dem Katar in den Markt einsteigen. Die Preise werden also explodieren.
Was ist derzeit der wertvollste Gegenstand auf dem Markt?
Das teuerste Stück weltweit ist Pelés Endspiel-Trikot von 1970. Der Preis lag bei der Versteigerung bei 110.000 Euro. Es ist mittlerweile in Privatbesitz. Der teuerste Gegenstand, den wir jemals verkauft haben, war der Endspielball von 1930. Kostenpunkt damals: 40.000 Euro. Die höchsten Preise werden aber nach wie vor für englische Raritäten in England erzielt. Das Enspieltrikot von Geoff Hurst wurde für 66.000 Pfund (umgerechnet circa 80.000 Euro d. Red.) versteigert. Die Highlights erzielen in England fast drei Mal so viel wie hier – so lange sie englisch sind. Ein Finaltrikot von Beckenbauer wäre in England eher Ladenhüter.
Wer ist Ihr prominentester Kunde?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele prominente Personen bei uns mitbieten. Das geht vom Politiker bis zum Künstler. Mit konkreten Namen ist man unserem Geschäft sehr vorsichtig. Aber eins wissen wir auch: Prominente Fußballer sammeln nicht.
Was war das Kurioseste, was Ihnen jemals angeboten wurde?
Getragene Socken gehören zu unserem Tagesgeschäft. Die Auktion mit den Stutzen von Hanne Sobek, einem Nationalspieler aus der Vorkriegszeit, lief erstaunlich gut. Grundsätzlich gilt: Alles lässt sich verkaufen, wenn seine Echtheit belegbar ist. Unser Grundsatz ist: Alles, was mit Glauben zusammen hängt, gehört in die Kirche.
Was war die plumpste Fälschung, die Ihnen bisher unter gekommen ist?
Sie glauben nicht, was wir alles zu sehen bekommen. Da werden Karten stumpf unter den Farbkopierer gelegt und uns als Original angeboten. Oder bei den Autogrammen: Da werden Karten aus dem Jahr 1930 mit Orginal-Unter angeboten und das Autogramm ist mit Kugelschreiber geschrieben. Dabei gab es 1930 noch gar keine Kugelschreiber. Viele dieser dubiosen Anbieter agieren nach einem klaren Motto.
Das da wäre?
Jeden Morgen wacht ein Dummer auf und kauft mir meinen Schund ab. Das macht unseren Markt kaputt. Aber überall, wo es Geld zu verdienen gibt, wird betrogen. Das ist traurig.
Sie sprachen bereits davon, dass immer mehr Fußball-Museen aus dem Boden sprießen. Kann man einschätzen, wie viele Fälschungen dort in den Archiven lagern?
Ich werde immer wieder gebeten, Stücke für Museen zu verifizieren. Die haben fast alle das Problem, dass sie teilweise Sachen in den Beständen haben, die gefälscht sind. Die Quote ist zwar nicht sehr hoch, aber eine Fälschung kann die tollste Sammlung ad absurdum führen. Es besteht eine große Unsicherheit in diesem Bereich.
Welches Stück aus der näheren Fußballvergangenheit wird ihrer Meinung nach später mal sehr viel Geld wert sein?
Ich denke, dass in Frankreich sehr viel Geld für das 2006er-Finaltrikot von Zinedine Zidane aufgebracht werden würde, wenn es auf den Markt käme.
Gäbe es nicht noch mehr Geld für das Trikot von Materazzi? Da wäre immerhin noch etwas Restenergie des magischen Zidane zu finden.
Ich kenne den Markt und bin mir sicher, dieses Trikot kauft kein Franzose.
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Wolfgang Fuhr ist Geschäftsführer vom Agon-Sportartikel-Vertrieb und eröffnetet 1999 das erste deutsche Sportartikel-Antiquariat. Mittlerweile veranstaltet Agon drei Mal jährlich internationale Auktionen mit Fußball-Memorabilia und ist Marktführer in Deutschland.