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Unsere Titel­ge­schichte aus Heft #176 (samt exklu­siven Bil­dern) findet ihr auch im großen 11FREUNDE Buch. Das Buch zum 20-jäh­rigen Jubi­läum unseres Maga­zins gibt es hier.

11 Freunde Das große 11 Freunde Buch Kopie

Am 15. April 1989 trat ich durch einen Tunnel im Hills­bo­rough-Sta­dion in Shef­field ins Son­nen­licht und dachte: Wo wärst du an einem Tag wie heute lieber als hier?“ Mein Verein, der FC Liver­pool, spielte gegen Not­tingham Forest, den Klub meines Bru­ders, um den Einzug ins FA-Cup-Finale. Er stand auf dem Hills­bo­rough Kop, ich auf der Tri­büne an der Lep­pings Lane, um Barnes, Beardsley, Aldridge, Nicol, Hansen und Whelan anzu­feuern. Für mein Ticket hatte ich sechs Pfund bezahlt – ein Schnäpp­chen, um dieses Team bei diesem Wetter und in diesem alt­ehr­wür­digen Sta­dion spielen sehen zu dürfen.

Als ich um kurz nach zwei Uhr in Block 3 komme, direkt hinter dem Tor, scheint die Tri­büne schon so gut wie voll zu sein. Ich lehne mich träge an einen Wel­len­bre­cher und plau­dere mit ein paar Kum­pels, die nach bes­seren Plätzen Aus­schau halten. Wäh­rend die Sonne über die Tri­büne wan­dert, ver­treiben wir uns die Zeit damit, uns unter Olé“-Rufen einen Strand­ball zuzu­werfen. Ich bin sehr froh über meinen Platz, etwa sechs Meter vom blauen Git­ter­zaun ent­fernt.

Hier sind zu viele Leute drin“

Gegen 14.35 Uhr wird es seltsam unge­müt­lich. Ein Ruck geht durch die Menge und wir werden nach vorn geschubst, aber federn von dort nicht zurück. Hier sind zu viele Leute drin“, murrt jemand hinter mir. Fast unmerk­lich kippt die zuvor unbe­schwerte Stim­mung. Wir sind die harten Kerle vom legen­dären Liver­pooler Kop, uns kann so schnell nichts erschüt­tern. Aber klamm­heim­lich schauen wir uns um, ob die anderen okay sind und sonst noch jemand beun­ru­higt ist. Viele von uns sind es, mehr noch: Wir haben Angst, hier stimmt was nicht. Die Menge keucht und wälzt sich. Dann setzt sie sich langsam und wider­stre­bend fest wie sto­ckender Beton. Die Leute rammen Köpfe in Schul­tern und Rücken, um Luft zu bekommen; sie setzen Arme und Knie ein, um sich ein klein wenig Platz zu ver­schaffen. Hände drü­cken gegen meinen Rücken und Füße gegen meine Waden. Ich spüre jemandes heißen Atem in meinem Nacken. Nie­mand hat mehr die Kon­trolle über seine Bewe­gungen, schließ­lich ver­liert hinter mir jemand die Nerven und brüllt: Macht das ver­dammte Tor auf!“

Um 14.52 Uhr öffnet tat­säch­lich jemand ein Tor, aber es ist nicht das Tor im Sicher­heits­zaun, durch das wir aufs Spiel­feld ent­kommen könnten. Es ist das Tor C der Tri­büne, das eigent­lich als Aus­gang dient. 2000 Men­schen, die sich eben noch vor dem Ein­gangstor hinter der Kurve gedrängt haben, werden ins Sta­dion gelassen. Da keine Poli­zisten bereit­stehen, um sie in die relativ leeren Blöcke rechts und links von uns zu leiten, kommen diese 2000 Men­schen fast gleich­zeitig in einen vier Meter breiten Tunnel mit 16 Pro­zent Gefälle.

Unter­träg­liche Schreie

Durch die Ver­dich­tung der Menge werden die Leute buch­stäb­lich in die Blöcke 3 und 4 geblasen. Manche werden mit Wucht erfasst und so um die eigene Achse gedreht, dass sie mit dem Rücken zuerst die Tri­büne betreten. Manche werden durch die Menge auf Block 3 hin­durch bis zum Zaun geschleu­dert. Nun rund vier Meter vom Zaun ent­fernt habe ich das Gefühl, als hätte mir jemand mit einem Hammer zwi­schen die Schul­ter­blätter geschlagen. Aber ich habe noch Glück: Ich werde mitten auf den Rücken getroffen und nach vorn gedrückt. Andere erwischt es an der Schulter, sie werden her­um­ge­wir­belt und gehen zu Boden. Und stehen nicht mehr auf.

Das Schreien wird nun uner­träg­lich. Aber nie­mand kommt, um uns zu helfen. Leute, die sich aus dem Gewühl befreien können und den Zaun erklimmen, werden oben, an der sta­chel­be­wehrten Spitze, von Poli­zisten, die von der anderen Seite aus hin­auf­klet­tern, emp­fangen. Die Fans sagen der Polizei, dass wir Hilfe brau­chen. Die Polizei schubst die Fans zurück ins Gewühl.

Einen Fuß­baller bekomme ich an diesem Tag nicht zu sehen. Es ist kurz nach drei und ich schwanke nun zwi­schen diesem Leben und dem nächsten. Inzwi­schen ist das Spiel ange­pfiffen worden. Auf der Nord­tri­büne kann ich Leute erkennen, die das Spiel ver­folgen. Andere bli­cken in unsere Rich­tung und ges­ti­ku­lieren auf­ge­bracht oder laufen die Mit­tel­gänge hin­unter zum Spiel­feld, um sich bei der Polizei Gehör zu ver­schaffen. Aber sie sind zu weit weg. Um mich herum, nur wenige Meter ent­fernt, ringen Men­schen um ihr Leben.