Leicester City ist die Überraschung der bisherigen Premier-League-Saison. Wie kommt der Erfolg des Abstiegskandidaten zustande?
Als Nathan Dyer am letzten Sonntag gegen Aston Villa in der 89. Minute den 3:2‑Siegtreffer für Leicester City erzielte, rastete Jim Donnelly aus. Vor Freude versteht sich. Der 48-jährige Fanbeauftragte des Vereins wurde zu einem kleinen Internet-Phänomen, die Aufnahmen seines Jubels gingen um die Welt.
Dieser fiel auch deswegen so ausgelassen aus, weil Leicester bis zur 72. Minute mit 0:2 hinten lag und erst in der Schlussphase das Spiel drehen konnte. Es war der dritte Sieg der „Foxes“ die damit nach fünf Spieltagen nun auf dem zweiten Rang der Premier League liegen, als einziges bisher ungeschlagenes Team neben Spitzenreiter Manchester City. Natürlich ist die Platzierung nur eine Momentaufnahme, gegen die ganz dicken Fische der englischen Liga hat Leicester noch nicht spielen müssen. Trotzdem ist es eine beachtliche Leistung für einen Verein, der letzte Saison nur mit Mühe den Klassenerhalt schaffte.
Der „Tinkerman“ Ranieri
Konstrukteur des Erfolges ist seit dieser Saison Trainer Claudio Ranieri. Ein Mann von „internationalem Format“, wie man so schön sagt. Auf der Insel ist der inzwischen 63-jährige Italiener seit seiner Zeit beim FC Chelsea von 2000 bis 2004 als der „Tinkerman“ (zu deutsch in etwa: der Bastler) bekannt, der immer weiter an seinem Team, der Aufstellung und Taktik herumschraubt – Kritikern zufolge manchmal gar etwas zuviel. Nach fünf Spieltagen schaut es nun aus, als hätte er ein ganz gutes Maß gefunden.
„Getinkert“ hat Ranieri auch in Leicester: In Deutschland machte sich der Klub vor allem in der gerade abgeschlossenen Transferperiode einen Namen, holte mit Shinji Okasaki von Mainz 05 (11 Millionen Euro) und Christian Fuchs vom FC Schalke (ablösefrei) zwei Akteure aus der Bundesliga, sowie mit Gökhan Inler (7 Millionen Euro) einen Schweizer Mittelfeldspieler vom SSC Neapel, um den sich auch die Gelsenkirchener bemühten. Ist Leicester City also einer jener Premier-League-Emporkömmlinge, die durch Investorengelder und TV-Millionen die Bundesliga „kaputtkaufen“?
Auf der einen Seite stehen 38,2 Millionen Euro Ausgaben auf dem Transfermarkt zu Buche, unter anderem auch für Robert Huth, der für 4,2 Millionen aus Stoke kam, nachdem er letzte Rückrunde bereits von den „Foxes“ ausgeliehen war. Das ist viel für einen Klub, für den es erst die zweite Erstligasaison seit 2004 ist. Vor allem, da den Ausgaben nur 9,2 Millionen an Transfereinnahmen gegenüberstehen. Andererseits muss man auch das derzeitige Klima der Premier League betrachten: Leicester hat, abgesehen von den Aufsteigern, den billigsten Kader, zugleich den ältesten mit einem Durchschnittsalter von 28,7 Jahren. Was sind also die Bausteine des Höhenflugs?
Der Hauptakteur, mit dem der derzeitige Erfolg verbunden wird, ist ein Mann, der bereits im Januar 2014 aus Le Havre geholt wurde – für verhältnismäßig bescheidene 450.000 Euro: Riyad Mahrez, offensiver Mittelfeldspieler und derzeit mit vier Treffern Spitzenreiter der Torschützen- und Scorerliste (6 Punkte). Der 24-jährige Algerier bringt Kreativität ins Team, das eher über den Kampf kommt, sorgt durch seine unkonventionelle Spielweise mit vielen Dribblings für Schwung im Spiel nach vorne und harmoniert perfekt mit Mittelstürmer Jamie Vardy (drei Tore, zwei Vorlagen), der ebenfalls bereits seit 2012 bei den „Foxes“ unter Vertrag steht. Mahrez wurde vor seinem Wechsel in die Premier League aufgrund seiner schmächtigen Statur eher zur spanischen Liga geraten. Der Schritt könnte jedoch bald folgen, gerüchteweise ist der FC Barcelona sehr an Mahrez interessiert.
„Touch of Beauty“ und „Berlin Wall“
Der „Touch of Beauty“, den Mahrez ins Spiel der „Foxes“ bringt, wie es etwa der englische Telegraph beschreibt, wird flankiert von einer Riege erfahrener Premier-League-Recken. Einer von ihnen ist der Deutsche Robert Huth, der sich zwar nie in der Nationalmannschaft durchsetzen konnte, aber inzwischen auf fast 13 Jahre in der höchsten englischen Spielklasse zurückblicken kann. „The Berlin Wall“ war bereits in der letzten Saison die Stütze des Teams und fehlte wie sein Innenverteidigerkollege und Kapitän Wes Morgan in den bisherigen fünf Spielen keine Sekunde. Beide sind 31 Jahre alt, müssten also abgeklärt genug sein, sich den derzeitigen Höhenflug nicht allzu sehr zu Kopf steigen zu lassen.
Ebenso wie Ranieri, der zuletzt bei seinem Engagement als griechischer Nationaltrainer zu Spüren bekommen hat, wie schnell man als Trainer seinen Job verlieren kann, als er nach einer Heimniederlage gegen die Färöer-Inseln direkt gefeuert wurde. Muss Leicester City angesichts des guten Saisonstarts seine Ziele überdenken? „Ich habe gerade mit den Spielern gesprochen“, sagte er nach dem Last-Minute-Sieg über Aston Villa. „Ich habe ihnen gesagt, dass wir elf Punkte haben. Jetzt brauchen wir noch 29 weitere, um die Mannschaft zu retten.“ Die nächsten drei Zähler sollen diesen Sonntag gegen Stoke City folgen. Nicht nur, damit Nathan Dyer wieder durch seinen ausgelassenen Jubel für Furore sorgen kann.