Laut einer aktuellen Studie der Spielerorganisation FIFPro ist Alkohol im Profifußball weiterhin ein ernstzunehmendes Problem. Wir sprachen mit dem Leiter der Studie, Dr. Vincent Gouttebarge.
Dr. Vincent Gouttebarge, als medizinischer Leiter bei der Spielerorganisation FIFPro haben Sie 180 aktive Profifußballer zu deren Alkoholkonsum befragt. Demnach hat jeder Fünfte ein Alkoholproblem. Wie dramatisch ist die Lage?
Um es vorwegzunehmen: Die Studie hatte nicht den Zweck festzustellen, ob ein Spieler tatsächlich alkoholabhängig ist. Wir haben unter anderem abgefragt, wie viele alkoholische Getränke ein Fußballer während eines Tages zu sich nimmt und an wie vielen Tagen in der Woche er Alkohol trinkt. Aufgrund dessen können wir sagen, dass der Konsum von Alkohol bei 19 Prozent der Spieler im problematischen Bereich liegt.
Was bedeutet problematischer Bereich?
Die Einstufung beruht auf einer Kombination verschiedener Fragen. Letztlich kann man sagen, dass der Alkoholkonsum als problematisch gilt, wenn ein Spieler mehrmals die Woche sechs oder mehr alkoholische Getränke zu sich nimmt.
Können Sie etwas zu den Gründen von Alkoholproblemen unter Profifußballern sagen?
Zumindest nicht aufgrund der aktuellen Befragung. Sicherlich kann man stressige bis depressive Zustände mit dem Konsum von Alkohol in Verbindung bringen. Das haben wir allerdings nicht konkret abgefragt, weil es nicht das Ziel der Befragung war.
Werden Sie die Forschungen denn dahingehend vertiefen?
Ja. Als nächsten Schritt werden wir die Gründe und Auswirkungen mentaler Probleme erforschen, damit die richtigen Maßnahmen dagegen entwickelt werden können. Daraus soll im dritten Schritt ein System implementiert werden, in dem sich Spieler bei Problemen unkompliziert zurechtfinden können.
Bei der Befragung von 121 ehemaligen Fußballern wurde sogar für knapp ein Drittel der Spieler ein problematischer Alkoholkonsum festgestellt. Wie erklären Sie sich den Unterschied?
Eine wahrscheinliche Ursache ist die, dass sich nach dem Karriereende für Fußballer viel verändert. Das intensive körperliche Training ist vorbei, die Spieler verlieren an Struktur in ihrem Leben, weil ihr soziales Umfeld in der Regel stark aus dem Verein bestand, zu dem sie jetzt nicht mehr gehören. Das kann zur mentalen Belastung werden.
Sie haben Spieler aus den Niederlanden, Australien, Neuseeland, Irland, Schottland und den USA befragt. Nationen, deren Ligen nicht zu den Besten der Welt gehören. Erwarten Sie in anderen Ländern eine professionellere Lebensweise von Fußballern?
Einerseits beschränkte sich die Studie nicht auf die jeweilige Liga der Nationen und andererseits denke ich auch nicht, dass das zu erwarten ist. Die gleiche Studie werden wir demnächst in französischsprachigen Ländern wie Frankreich, Belgien und aus Afrika durchführen, dann in Ländern in denen spanisch gesprochen wird. Dabei wird sich zeigen, inwieweit sich die Ergebnisse aus dem ersten Teil bestätigen.
In England gilt Tony Adams als großes Vorbild, weil er selbst alkoholkrank war und später eine Suchtklinik gründete. Was können Sie über die Unterstützung bei Suchtproblemen sagen?
Es gibt einige Organisationen, wie die von Tony Adams, die Spielern mit derartigen Problemen helfen. Auch die englische Spielervereinigung PFA hat ein sehr starkes Netzwerk an Beratern zur Suchthilfe. Die Niederlande und Australien liefern weitere positive Beispiele. In anderen Ländern kann und sollte da aber noch deutlich mehr kommen.
Glauben Sie, dass die populären Fälle von Alkoholismus in England dazu geführt haben, dass die Aufmerksamkeit und Unterstützung für solche Probleme dort besonders gut ist?
Die Vergangenheit hat auf jeden Fall einige solcher Fälle in England gezeigt. Ich denke schon, dass die starke Initiative der PFA vor allem daher kommt. Die machen jedenfalls einen hervorragenden Job, wenn es um die Unterstützung bei Suchtproblemen geht. Davon können sich andere Vereinigungen noch etwas abschauen.
In Deutschland ist Uli Borowka ein bekannter Fall. Nach seinem Entzug gründete er einen Verein zur Hilfe und Prävention bei Suchtproblemen. Kürzlich bemängelte er jedoch die Unterstützung seitens des DFB. Wie bewerten Sie die Rolle der Verbände?
Wenn jemand wie Uli Borowka die Initiative ergreift und einen Verein gründet, ist es natürlich schade, wenn die Unterstützung ausbleibt. Verbände haben eine hohe Reichweite und können bei der Wahrnehmung helfen. Ich sehe es allerdings vor allem als Aufgabe der Spielervereinigungen an, bei solchen Themen Unterstützung zu leisten. Deswegen ist es für uns bei FIFPro auch wichtig zu zeigen, dass noch eine Menge Arbeit zu leisten ist.