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Seite 2: Hoch geflogen, tief gefallen

Doch die Klat­sche ist für die Spatzen der Sturz in den freien Fall. Mit nur einem Sieg aus den letzten neun Spielen ist der Abstieg beinah unver­meidbar. Den­noch haben sich die Ulmer nicht auf­ge­geben: Wir hatten Geschmack an der Bun­des­liga gefunden, wir wollten weiter dazu­ge­hören.“ beschreibt Springer die Stim­mung beim letzten Aus­wärts­spiel in Frank­furt. Es sieht gut aus, bis Horst Heldt in der 90. Minuten zum 2:1 für Frank­furt trifft. Mit 35 Punkten steigt der SSV Ulm 1846 ab. Immerhin waren wir besser als Tas­mania Berlin“, merkt Springer an und kann sich das Lachen nicht ver­kneifen. Im Ver­eins­um­feld laufen sofort die Pla­nungen an, schnellst­mög­lich wieder in die Bun­des­liga zurück­zu­kehren. Doch es kommt ganz anders: Der Verein hat Schwie­rig­keiten, in der Zweiten Liga Fuß zu fassen. Er fällt auf win­dige Spon­soren herein und muss die Auf­stiegs­pläne als­bald wieder ver­werfen. Wir konnten die Situa­tion alleine nicht mehr stemmen“, erin­nert sich Springer. 

Des Spatzen tiefer Fall

Als der 1. FC Nürn­berg im August 2001 zur ersten DFB-Pokal­runde nach Ulm kommt, ist der SSV auf­grund ver­wei­gerter Lizenzen bis in die Ober­liga gestürzt und steckt mitten im Insol­venz­ver­fahren. Die Bild-Zei­tung titelt: Ist das heute das letzte Spiel des SSV Ulm 1846?“. Vor 5500 Zuschauern gelingt die Sen­sa­tion – der Fünft­li­gist schlägt den Bun­des­li­gisten. Bis heute ein­malig. So haben wir uns die ganze Saison finan­ziert. Da war der Insol­venz­ver­walter natür­lich zufrieden.“ Der Lig­aalltag bringt die Ulmer wieder auf den Boden der Tat­sa­chen zurück. Vor zwei Jahren spielte man beim FC Bayern – jetzt auf bes­seren Kuh­wiesen der schwä­bi­schen Alb. Das war ein Kul­tur­schock. Wir sind manchmal mit 3000 Fans aus­wärts gefahren und kamen zu Ver­einen, die nichtmal fünf Würste auf dem Grill hatten“, sagt Springer. Bau­zäune, Dixi-Toi­letten, das war unser Gäs­te­block.“ Vielen ver­geht in dieser Zeit die Lust auf den SSV. Die­je­nigen, die der Erfolg ange­lockt hat, sind so schnell wieder ver­schwunden wie sie gekommen sind. Wir merken bis heute, dass die Gene­ra­tion 35 – 45 fehlt“.

2008 gelingt der Regio­nal­li­ga­auf­stieg nach sechs Jahren Land­partie. Nur wenig später kommt der Zoll auf die Geschäfts­stelle. Spieler sollen arbeitslos gemeldet worden sein, um Sozi­al­ver­si­che­rungs­ab­gaben zu sparen. 15 Monate später steht die Staats­an­walt­schaft auf der Matte: Im Zusam­men­hang mit dem Wett­skandal stehen die letzten vier Spiele der Saison 2008/2009 unter Ver­dacht, von Ante Sapina und Kol­legen ver­schoben worden zu sein. Springer betreut zu dieser Zeit das Pro­jekt Fit und Fun mit dem SSV Ulm“. Spieler sollen Jugend­li­chen Spaß an Bewe­gung und dem SSV ver­mit­teln. Da steht ein Spieler im Klas­sen­raum und erzählt von seiner Pro­fi­kar­riere und dem Verein und im selben Moment ist die Razzia, das ist schon absurd.“ Drei Spie­lern wird fristlos gekün­digt, eine lücken­lose Auf­klä­rung gibt es bis heute nicht.

Tot­ge­sagte leben jänger

Um den Brei­ten­sport vor der lau­ni­schen Fuß­ball­ab­tei­lung zu schützen, beschließen die Ver­ant­wort­li­chen, die Fuß­ball­s­parte aus dem Haupt­verein her­aus­zu­lösen. Wenn wieder etwas schief geht, stehen 23 Sport­ab­tei­lungen vor dem Aus, von Leicht­ath­letik bis Schach. Das kann man nicht ver­ant­worten“, begründet Springer. Wie weise diese Ent­schei­dung ist, wird zwei Jahre später deut­lich, als mal wieder der Insol­venz­ver­walter klin­gelt. Ein Minus von 165.000 Euro hat den Verein in Schief­lage gebracht. In der unat­trak­tiven Regio­nal­liga Süd, in der 9 von 18 Mann­schaften Zweit­ver­tre­tungen von Pro­fi­klubs sind, gene­riert der Verein kaum Zuschau­er­ein­nahmen. Ein Sponsor, der den Betrag über­nehmen könnte, lässt sich nicht finden. Auch Uli Hoeneß, der bei der TSG Ulm groß geworden ist, sitzt mit am runden Tisch. Doch auch der scheint abge­schreckt von den Ulmer Unwäg­bar­keiten: Auch wenn ich hier geboren wurde und dem Verein ver­bunden bin, kann ich doch nicht jedes Jahr zum Test­spiel nach Ulm fahren, um den Verein zu retten“ soll er gesagt haben. Am Ende will nie­mand in die Bre­sche sprengen. Der Verein geht in die zweite Insol­venz – wegen eines sechs­stel­ligen Betrags.

Am Ende einigen sich Verein und Gläu­biger auf sym­bo­li­sche Zah­lungen von 1846 Euro. Mit dem zweiten Neu­start im Rücken spielt der SSV solide Runden in der Regio­nal­liga Süd – bis die Kohle erneut knapp wird. 2014 ist die Lage so schlecht wie nie zuvor, sogar die Löschung aus dem Ver­eins­re­gister steht zur Debatte. Wir dachten, das war‘s jetzt wirk­lich. Da ging es ums nackte Über­leben.“ Bis tief in die Nacht tagen sie in den Räum­lich­keiten des Ver­eins und ver­künden letzt­end­lich die Ret­tung. Der SSV, der ewige Patient, der auf dem Weg ins Kre­ma­to­rium wie­der­be­lebt wird. Viele Unter­nehmer haben sich ver­pflichtet gefühlt, den Verein zu retten. Sonst wäre Pro­fi­fuß­ball in Ulm bis heute undenkbar.“ Aber Tot­ge­sagte leben bekannt­lich länger. Im Mai 2015 reist der SSV mit Trainer, Sport­di­rektor und Prä­si­dent in Per­so­nal­union, Paul Sauter, zum SSV Reut­lingen. Mit dem 4:1‑Auswärtssieg wird die Ober­li­ga­meis­ter­schaft gesi­chert, 15 Monate nachdem fast alle Lichter aus waren.

Ulmer Spe­zia­li­täten: Zu viel Geld aus­geben und Favo­riten raus­ke­geln

Im Jahr 2019 steht der SSV wieder auf gesunden Beinen. 18500 Zuschauer sehen das Erst­run­den­spiel gegen den amtie­renden Pokal­sieger Ein­tracht Frank­furt. Springer fühlt sich 20 Jahre zurück­ver­setzt: Überall sah man Fans, die seit der Bun­des­liga nicht mehr da waren.“ Eine lange nicht gespürte Euphorie ver­breitet sich im beschau­li­chen Ulm. Mit 2:1 schi­cken die Spatzen den Bun­des­li­gisten nach Hause. Sieben Tage später folgt die Kater­stim­mung. Für das nächste Heim­spiel gegen den FC Hom­burg plant der Verein groß – am Ende kommen 1500 Zuschauer. Das war ent­täu­schend, aber zeigt auch, dass wir einiges an Ver­trauen zurück­ge­winnen müssen“, sagt Springer. In fei­ernder Selbst­kritik prä­sen­tiert sich auch die Ulmer Fan­kurve in der zweiten DFB-Pokal-Runde gegen For­tuna Düs­sel­dorf. In großen Let­tern zählen die Fans die Ulmer Schbe­zi­al­i­däda“ wie z‘viel Geld aus­gäba ond älle Favo­r­idda naus­kägla“ auf. Dazu wan­dert eine rie­sige Bow­ling­kugel durch die Kurve. Die Aktion wird jedoch bereits nach 13 Sekunden durch Ardian Mor­inas 1:0 unter­bro­chen. Es ist das schnellste Pokaltor aller Zeiten. Die anschlie­ßenden fünf Frank­furter Tore ver­kommen im Fan­ge­dächtnis zur Rand­notiz.

Geht es nach den Ver­ant­wort­li­chen, sollen solche Duelle künftig wieder Alltag sein: Lang­fristig wird der Dritt­li­ga­auf­stieg ange­peilt. Springer fehlt dazu aller­dings die ganz große Euphorie, so wie 1997“. Finan­ziell sieht es dafür gut aus, der Verein hat sich das Ver­trauen der lokalen Wirt­schaft zurück­er­ar­beitet. Am Donau­strand sollte man aller­dings vor­sichtig sein – denn unver­hofft kommt in Ulm ein biss­chen öfter, als es für die leid­ge­prüften Anhänger gut ist.