Celtic Glasgow kann in der kommenden Saison zum zehnten Mal in Folge Meister werden. Für den ewigen Rivalen Glasgow Rangers ist das Albtraum und Auftrag zugleich.
Es war schon ein Statement, was sich da am vergangenen Samstag auf dem Rathaus von Glasgow zutrug. Ein Celtic-Fan hatte das Dach erklommen, die dort wehende Fahne Schottlands eingeholt und statt ihrer eine grün-weiße Flagge mit dem Aufdruck „9 in a row“ (neun in Serie) gehisst. Eindeutige Message dieser waghalsigen Aktion: In Glasgow regieren die „Celts“, die im Mai die neunte Landesmeisterschaft in Folge errungen hatten. Doch das Szenario, festgehalten von mehreren Handykameras, währte nicht einmal eine Minute. Dann war das grün-weiße Fähnlein wieder verschwunden, ebenso wie der „Übeltäter“. Ohnehin gilt der Status „9 in a row“ in den Augen vieler Celtic-Fans nur als kurzer Zwischenhalt auf dem Weg zum ganz großen Ziel: In der bereits am 1. August beginnenden Saison 2020/21 wollen die „Hoops“ (Ringel) den zehnten Meistertitel am Stück einfahren – als erster Klub überhaupt im Lande.
Schon Celtics Titelgewinn in der abgelaufenen Spielzeit war mehr als eine normale Meisterschaft: Erst zum dritten Mal in der Geschichte des schottischen Fußballs feierte ein Klub sein neuntes nationales Championat in Serie. Den ersten, denen dieses Kunststück der Kontinuität gelang, war das legendäre Celtic-Team um Kapitän Billy McNeill im Jahr 1974. Exakt 23 Jahre später (1997) hatten auch die Rangers um Klubikone Ally McCoist, Enfant Terrible Paul Gascoigne und Superdribbler Brian Laudrup neun Meisterschaften am Stück eingefahren. An Titel Nummer 10 aber sollten sie sich ebenfalls die Zähne ausbeißen. „Gott sei dank“, befand Celtics Edelfan Rod Stewart (75) damals: „Nicht, weil es sich um die Rangers handelt, sondern weil ich finde, dass zehn Meisterschaften in Folge einfach zu viel des Guten wären. Das würde die andere Seite seelisch brechen.“
„Wenn Celtic jetzt abermals den Titel holt, dann ist die komplette Geschichte der Rangers ausgelöscht“
Und so schwebt die „10 in a row“ einerseits weiter als magische, weil bislang unerreichbare Marke über der schottischen Liga. Andererseits ist dieser historische Meilenstein nun greifbar nahe und spukt durch die Köpfe aller Celtic- und Rangers-Fans – als Wunsch- oder als Albtraum, je nach Gesinnung. Der frühere Celtic-Star Paul Lambert (50), der 1998 mithalf, eine zehnte Rangers-Meisterschaft in Serie zu verhindern, stichelt im Gespräch mit der BBC: „Wenn Celtic jetzt abermals den Titel holt, dann ist die komplette Geschichte der Rangers ausgelöscht. Dann war’s das.“
Tatsächlich herrscht in Schottland die Meinung, dass zehn Meistertitel am Stück einem alles entscheidenden Triumph im ewigen Stadtduell gleichkämen. Auch deshalb versuchen die Anhänger der „Gers“ alles, um eine mögliche Nummer zehn von Celtic von vornherein schlechtzureden: Der neunte Titel verdiene diese Bezeichnung doch gar nicht, weil die zurückliegende Saison Corona-bedingt zuerst unter- und später abgebrochen wurde, so die Blauen. Schon klar, spötteln die Celtic-Getreuen, aber unser Vorsprung auf die zweitplatzierten Rangers betrug zu diesem Zeitpunkt 13 Punkte und 25 Tore – bei acht noch ausstehenden Spieltagen.
Doch die Blauen lassen nicht locker: Celtics Meisterschaften 2013 bis 2016 seien allesamt wertlos, weil die Rangers damals infolge eines Insolvenzverfahrens unterklassig spielen mussten. Moment mal, entgegnen die Grün-Weißen: Es ließe sich ja wohl kaum leugnen, dass die Rangers jahrelang gegen alle Regeln des seriösen Kaufmannsgebarens verstoßen und sich eine Reihe von Titeln „auf Pump“ erkauft hätten. Die Rückstufung in die 4. Liga sei da nur gerecht gewesen.
Entsprechend aufgeheizt ziehen beide Lager in die womöglich finale Schlacht im seit über 100 Jahren tobenden Kampf um Glasgow. Die Marketingstrategen von Celtic und Rangers haben ganze Hauswände, Gehsteige und Straßenzüge mit ihren Claims in Grün-Weiß oder Blau-Weiß-Rot veredelt – meist jedoch nur mit temporären Videoprojektionen. Wobei die Botschaften sich auf eine gemeinsame und doch spaltende Formel reduzieren lassen: „Diese Stadt gehört uns.“ Einige Fans verewigten diesen Anspruch sogar in gewaltigen „Murals“, und so erinnert Glasgow dieser Tage mehr denn je an das tief in zwei Lager gespaltene nordirische Belfast.
Der größere Druck vor dem Showdown lastet eindeutig auf den Rangers, die seit 2011 keinen Titel mehr gewinnen konnten. Meint zumindest Paul Lambert: „Wenn Celtic die zehnte Meisterschaft nicht holen sollte, werden die Fans sehr, sehr enttäuscht sein, klar. Aber dann sagen sie: Okay, es waren immerhin neun in Folge. Aus psychologischer Sicht glaube ich, dass es sehr viel einfacher ist, die ‚10 in a row‘ zu gewinnen, als sie zu verhindern.“ Zumal auch Qualität und Tiefe des Kaders für die Grün-Weißen sprechen. Spötter meinen, die Rangers, die am 6. August im Euro-League-Achtelfinale auf Leverkusen treffen, hätten nur einen einzigen Topkicker vorzuweisen: Chefcoach Steven Gerrard (40).
Weil die Rangers auch finanziell kaum noch mit Celtic mithalten können, fürchtet man im Lager des Noch-Rekordmeisters (54 Titel gegenüber 51 von Celtic), dauerhaft abgehängt zu werden – von einem Migrantenverein, einst gegründet als Zufluchtstätte für die hungernde irisch-katholische Minderheit in der Stadt. Und so ist es mehr als nur ein Statement, was ein Rangers-Fan in blauer Schrift auf ein kleines Mäuerchen unweit des Ibrox Stadions gesprüht hat: „10 in a row? Hell NO“.