Das 95. Revierderby der Bundesliga-Geschichte endete 0:0 – und hatte doch einen klaren Sieger. Fünf Thesen zum Zustand der beiden Revierklubs.
Es hilft, dass es im Fußball Vereinsfarben gibt. Hätten der FC Schalke und Borussia Dortmund das 95. Revierderby nicht in den ihn typischen Farben bestritten – man hätte nicht gewusst, welches Team welches ist. Während die Schalker typischen Klopp-Fußball zelebrierten, erinnerte der BVB an das Schalke-Spiel der vergangenen Jahre. Fünf Thesen zum Revierderby.
1. Schalke spielt BVB-Fußball
„Vollgasfußball“ lautet einer der Begriffe, die Jürgen Klopp als Trainer von Borussia Dortmund geprägt hat. Seine Mannschaft sollte offensiv nach vorne spielen, sich aggressiv in die Zweikämpfe werfen, System und Leidenschaft verbinden.
Schalke-Trainer David Wagner gehört zu Klopps engsten Freunden. Inwiefern sich dies auf seine Fußball-Philosophie auswirkt, lässt sich nicht beurteilen. Klar ist: Wagner ist ein Anhänger des Vollgasfußballs.
Im Derby traten seine Mannen besonders aggressiv auf. Wagner hatte seine Elf in einem 4−3−1−2 aufgestellt. Immer wieder rückten Spieler aus dem Mittelfeld nach vorne, um den Gegner zu jagen. Es beeindruckte, wie häufig Schalke eine Überzahl in Ballnähe herstellte. Auch die Stürmer Guido Burgstaller und Rabbi Matondo rückten immer wieder auf die Flügel, stellten hier die Dortmunder Gegenspieler. Schalke presst aktuell so intensiv und konsequent, wie dies der BVB vor einigen Jahren tat.
2. Der BVB spielt Schalke-Fußball
Während Schalke Fußball spielte, der auf Pressing und schnellem Spiel in die Tiefe fußte, wählte der BVB den gegenteiligen Ansatz. Sie spielten so, wie man es in den vergangenen Jahren von Schalke erlebt hat: Statt im Pressing nach vorne zu schießen, zogen sie sich in ihrer 4 – 4‑1 – 1‑Ordnung zurück.
Auch bei Ballbesitz suchten sie nicht den direkten Weg nach vorne, sondern ließen die Kugel laufen. Positionsspiel und Ruhe waren die wichtigsten Faktoren im Dortmunder Spiel. Man könnte sagen: Beide Teams haben in den vergangenen Monaten ihre Spielphilosophie getauscht.
3. Dortmunds Passivität wird zunehmend zu einem Problem
Nun ist es kein Zufall, dass Dortmund exakt diesen Fußball spielt. Trainer Favre möchte es so. Als Trainer hatte der Schweizer stets dann Erfolg, wenn seine Mannschaft sauber verteidigen und im richtigen Moment das Tempo verschärfen konnte. So lautet eine seiner häufigsten Forderungen an seine Spieler, die Kompaktheit zu wahren und die Abstände einzuhalten.
Tatsächlich war dies auch in der vergangenen Saison nicht anders. Hier ging die Spielidee häufig auf: Dortmund verteidigte sauber, bei Ballbesitz ließen sie die Kugel so lange laufen, bis sich eine Lücke in der gegnerischen Verteidigung auftat. Dann schlugen sie zu und sprinteten mit bis zu fünf Spielern in den gegnerischen Strafraum.
Das Problem: Die Dortmunder versuchten derzeit gar nicht erst, Lücken im gegnerischen System zu provozieren. Die Spieler erstarren auch bei Ballbesitz in ihrer Passivität, Läufe in die Tiefe gab es kaum. Favre selbst gestand nach dem Spiel, dass genau letztere Facette im Spiel fehlt: „[Schalke] erobert die Bälle zu leicht, wir brauchen mehr Läufe in die Tiefe.“
4. Dortmund hat ein Stürmerproblem
Dass den Dortmundern die Tiefe im Spiel fehlte, lag nicht zuletzt an der Aufstellung von Favre. Der Schweizer war noch nie ein Fan des klassischen Strafraumstürmers. Seine Angreifer sollen beweglich sein, sich zwischen den Linien anbieten. Mario Götze jedoch blieb in dieser Rolle abermals blass.
Das Problem endet aber nicht bei Götze. Es mangelt Dortmund allgemein an Spielern, die sich in der Tiefe und besonders im Strafraum anbieten. Dass Dortmund sich von Schalke dermaßen häufig in Pressingsituationen drängen ließ, lag nicht zuletzt an den fehlenden Anspielstationen. Schalke machte dies clever, stellte im Mittelfeld immer wieder Überzahlen her.
Schalkes Torhüter Alexander Nübel stellte nach dem Spiel fest, dass Verteidigen einfach sei, wenn kein gegnerischer Spieler im Strafraum auftauche. Dies sollte Warnung sein für den BVB.
5. Schalke hat ein Stürmerproblem
Schalke plagt ein ähnliches Problem – nur in gänzlich anderer Ausführung. Während Dortmund Spieler fehlen, die sich Torchancen erarbeiten, fehlt Schalke ein Spieler, der Torchancen verwertet. Dass sie welche erarbeiten können, bewiesen sie nämlich gegen den BVB. Omar Mascarell kurbelte aus der Abwehr den Aufbau an. Dadurch, dass sich Sechser Mascarell fallen ließ, konnten wiederum die Außenverteidiger vorrücken. Diese spielten im Zusammenspiel mit den Mittelfeldspielern, allen voran Kreativkopf Amine Harit, zahlreiche Pässe in den Strafraum.
Doch hier fehlt Schalke ein Stürmer, der diese Bälle verwertet. Burgstaller reibt sich auf, kein Bundesliga-Spieler hat in dieser Saison mehr Sprints gemacht. Seine Rolle ist im Spiel gegen den Ball wichtig; im Spiel mit dem Ball fehlt ihm manches Mal das Timing bei seinen Sprints. Matondos Timing war im Derby besser. Gleichzeitig schafft er selbst mit seinen Dribblings Lücken. Doch er lässt jede Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor vermissen.
Schalkes schwache Chancenverwertung ist der Hauptgrund, warum dieses Derby 0:0 endete. Im Gegensatz zu Dortmund erspielte sich Schalke aber immerhin Gelegenheiten, auch die Ballbesitz-Anteile und die Leidenschaft im Spiel gegen den Ball sprachen klar für die Heimelf. Die beiden Derby-Rivalen mögen die Punkte geteilt haben. Der gefühlte Sieger ist jedoch der FC Schalke.