Jupp Heynckes, wann waren Sie das erste Mal im San Mamés?
Der damalige Manager, Fernando Ochoa, hat mich 1992 zum Spiel gegen Real Sociedad eingeladen, weil er mich als Trainer verpflichten wollte. Die Atmosphäre bei diesem baskischen Lokalderby war beeindruckend.
Als Sie 1992 das erste Mal bei Athletic Bilbao unterschrieben, gab es in Deutschland noch viele Stadien mit Laufbahn. Im San Mamés gibt es nicht mal Ballfangnetze. War die Nähe zu den Fans gewöhnungsbedürftig?
San Mamés ist eben wie ein altes englisches Stadion. Es hat etwas Einzigartiges, wie sonst in Spanien nur das Bernabeu in Madrid und das Camp Nou in Barcelona. Die Atmosphäre kocht von Minute zu Minute höher. Wir haben viele Spiele erst in der Nachspielzeit entschieden. Deswegen wird San Mamés gefürchtet.
Das Stadion befindet sich im Stadtzentrum. Wie verändert sich die Gegend, wenn Athletic spielt?
Die Stadt verwandelt sich in ein pulsierendes Gemenge, und alles ist sehr lebendig. Die Tapas Bars sind brechend voll, und in den Straßen tummeln sich Menschen in Athletic-Trikots. Es wird gegessen, getrunken und überall über Fußball diskutiert.
Gibt es besondere Rituale bei Fans und Mannschaft?
Viele Leute im Stadion tragen die berühmte Baskenmütze. Es sind stolze, selbstbewusste Menschen und so treten sie auch auf. Außerdem sind sie sehr religiös, auch die Spieler. Vor dem Spiel wird in der Kabine immer gebetet.
Wie ist es im Stadion, wenn der sportliche und politische Erzfeind von Real Madrid zu Gast ist?
Die werden mit Pfiffen empfangen. Die Konkurrenz und auch die politische Dimension des Spiels sind spürbar. Spieler und Fans wachsen über sich hinaus. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir im San Mamés jemals gegen Real verloren haben.
Wie wurden Sie als Nicht-Baske von den Fans begrüßt?
Sehr positiv. Die Menschen haben gemerkt, dass ich mich bei ihnen wohl fühle. Überhaupt sind die Basken sehr objektiv und fair. Wenn schöner Fußball gespielt wird, applaudieren sie auch dem Gegner. Andererseits ist das Publikum wahnsinnig enthusiastisch, wenn es ums eigene Team geht. Sogar auf der Haupttribüne tragen die Leute Trikots.
Gibt es einen Ort im Stadion, den Sie in besonderer Erinnerung haben?
Die Kabine. In Bilbao sind die Kabinen wie in vielen alten Stadien: kühl, unpersönlich und ohne Flair. Vor dem Spiel aber kommt immer der Präsident vorbei, man macht Small Talk. Anschließend habe ich mich noch einmal hingesetzt, mich konzentriert und über das Spiel nachgedacht.
Ist Ihnen ein herausragendes Spiel im Gedächtnis geblieben?
Ich weiß noch, wie wir einmal gegen den FC Barcelona gewonnen haben, das Dreamteam mit Laudrup, Stoitchkov und Romario. Abends bin ich mit meinem Präsidenten ins Restaurant gegangen und die Leute sind aufgestanden und haben applaudiert. So etwas hatte ich noch nie erlebt.
Nennen Spieler und Fans das San Mamés zu Recht „die Kathedrale“?
Man merkt dem Stadion sein Alter überall an. Von draußen ist es vielleicht noch ganz ansehnlich, aber eine Kathedrale sieht anders aus. Es gibt Holzbänke, einfache Sitze und überall ist Beton. Alles ist sehr unpersönlich. Kein Vergleich zum Komfort heutiger Stadien.
Was hat die Spielstätte dennoch der Leverkusener Arena voraus?
Es ist nicht vergleichbar. Auch von der Stimmung her nicht. Bei uns ist die Atmosphäre von Spiel zu Spiel unterschiedlich. Wenn es schlecht läuft, merkt man das dem Publikum schon mal an. Im San Mamés ist das anders. Die Fans kommen immer motiviert ins Stadion.
Kann das neue Stadion San Mamés Barria dieses Flair erhalten?
Im neuen Stadion muss etwas Neues geboren werden. Man kann nichts mitnehmen. Auch das San Mamés war nicht direkt so, wie es heute ist, sondern ist über Jahre gewachsen.
Sie bedauern das Ende alter Stadien also nicht?
Nein. Das ist der Lauf der Zeit. Wenn wir damals am Bökelberg ein größeres Stadion gehabt hätten, wären bestimmt noch mehr Meistertitel drin gewesen und wir hätten Stars halten können. Irgendwann muss fast jeder Verein mit der Tradition brechen, um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben.
Bilbao hat sich nie gerne wirtschaftlichen Zwängen gebeugt. Bis heute spielen dort nur Basken.
Die Gemeinschaft und der Teamgeist haben vieles wettgemacht. So etwas ist mehr wert, als mal einen ausländischen Spieler zu verpflichten.
Ist diese Beschränkung den Fans wichtig?
Die steigen lieber ab, als mit dieser Tradition zu brechen.