Ausgerechnet die Fans von Tottenham Hotspur, deren Geschichte eng mit der jüdischen Community verwoben ist, sind in den Fokus von Antisemitismus-Aktivisten geraten – weil sie sich selbst als „Yids“ bezeichnen. Doch auch innerhalb der eigenen Anhängerschaft wächst die Kritik.
We sang it in France,
We sang it in Spain,
We sing in the sun and we sing in the rain,
They tried to stop us, but look what it did,
Cos the thing I love most is being a Yid …
Sie schmettern ihr Lied mit Inbrunst und mit Stolz, aber ganz sicher ohne diskriminierende Absicht – im Gegenteil: Wenn die Anhänger von Tottenham Hotspur sich selbst als „Yids“ (abwertender englischer Terminus für Juden) bezeichnen, geben sie ein trotziges Echo auf ein Hasswort, das ihnen spätestens seit den 1960er- und 70er-Jahren in fast jedem Auswärtsstadion entgegengeschleudert wurde. Obendrein solidarisieren sie sich mit all jenen unter ihnen, auf die das Y‑Wort eigentlich abzielt: Menschen jüdischen Glaubens.
Der 2016 verstorbene italienische Schriftsteller Umberto Eco schuf für solche Fälle den Begriff des rhetorischen Codewechsels: Fangruppen greifen die aufgrund von Vorurteilen gegen sie ausgebrachten Schimpfworte auf, heften sie sich ans Revers und tragen sie mit Stolz spazieren. Die einen singen „Wir sind Schalker, asoziale Schalker“, die anderen bezeichnen sich eben als „Yids“. So einfach ist das. Und doch so kompliziert.
Mit dem bösen Y‑Wort soll nämlich ab sofort Schluss sein. Allen voran der Stadtrivale FC Chelsea, der vor zwei Jahren eine breite Antisemitismus-Kampagne startete (auch, weil seine eigenen Fans bei Spielen gegen die Spurs gern das Geräusch von ausströmendem Zyklon‑B imitieren), fordert die umgehende Einstellung der „Yid“-Chants. Laut „Blues“-Chairman Bruce Buck sei es nämlich „verwirrend für Anhänger anderer Vereine, wenn sie einen Begriff nicht mehr verwenden sollen, den die Spurs-Fans sehr wohl noch benutzen dürfen“.
Wer aber sollte nun zuerst verstummen – die verbalen Schandtäter oder jene, die ihnen trotzig gegenübertreten? „Wir haben immer betont, dass ein Überdenken der Verwendung des Y‑Wortes durch Spurs-Fans nur in einem Umfeld entstehen kann, in dem es auch einen Null-Toleranz-Ansatz gegenüber dem echten Antisemitismus gibt“, teilte Tottenham Hotspur kürzlich mit.
Doch führende jüdische Organisationen und Verbände wollen die Spurs nicht so leicht aus der Verantwortung entlassen. Ihr Kritikpunkt: Tottenhams Fans würden ein altes Schimpfwort, das aus dem allgemeinen Sprachgebrauch weitgehend verdrängt werden konnte, künstlich am Leben erhalten – und antisemitische Rhetorik quasi durch die Hintertür wieder hereinlassen.
Andererseits: Reden afro-amerikanische Rapper dem Ku-Klux-Klan das Wort, wenn sie sich selbst und untereinander als „Nigger“ bezeichnen? Auf komplizierte Fragen gibt es oft keine einfachen Antworten.