In Rekordzeit hat sich Erling Braut Haaland in die Geschichtsbücher geschossen. Unserem Autor (Schalker) schwant Böses.
In 57 Minuten kann man eine ganze Menge machen. Man kann aufstehen, duschen, frühstücken, Zähne putzen und zumindest damit beginnen, einen Text zu schreiben. Man kann eine Runde joggen gehen oder fast eine komplette Runde mit der Berliner Ringbahn fahren.
Oder man schießt in 57 Minuten fünf Bundesligatore. Wobei das unpersönliche „man“ an dieser Stelle wohl fehl am Platz ist, suggeriert es doch, dass dazu jeder in der Lage wäre. Aber das stimmt nicht. Erling Braut Haaland ist dazu in der Lage. Erling Braut Haaland hat in 57 Minuten, die er in zwei Bundesligaspiele für Borussia Dortmund auf dem Platz stand, fünf Tore geschossen. Alle 11,4 Minuten ein Tor.
Franco Di Santo hat in 3.519 Minuten, die er in 71 Bundesligaspielen für den FC Schalke 04 auf dem Platz stand, fünf Tore geschossen. Alle 703,8 Minuten ein Tor. Trotzdem ist mir Franco Di Santo tausendmal sympathischer als Erling Haaland.
Das liegt natürlich daran, dass ich Fan von Schalke 04 bin und mir damit jeder noch so harmlose Rumpelstürmer in Königsblau lieber ist als ein Spieler, der es wagt, in Schwarz-Gelb aufzulaufen. Ich gönne denen gar nichts. Nicht die Butter auf dem Brot, nicht das Schwarze unter den Fingernägeln. Und schon gar keinen eiskalten 19-jährigen Wunderstürmer mit unmenschlicher Torquote.
Es ist aber nicht nur Haalands offensichtliche Geschmacksverirrung hinsichtlich seiner Vereinswahl, die es mir leicht macht, ihn nicht zu mögen. Dabei ist der BVB nicht einmal der erste Fehltritt in seiner noch jungen Karriere. Im Januar 2019 entschied er sich mit seinem Wechsel zu Red Bull Salzburg für einen Verein, der als Franchisenehmer eines Brausekonzerns in meiner Gunst tatsächlich noch unter den Schwarzgelben rangiert. Da sind darüber hinaus auch seine „Gefällt mir“-Angaben für Tweets von Donald Trump. Da sind seine hochnotpeinlichen Versuche, als 16-Jähriger im Rap-Game Fuß zu fassen.
Und dann sind da seine lässig herabhängenden Schultern, mit denen er fast schon arrogant über den Platz schlendert. Nur um dann im nächsten Moment, und zwar im exakt richtigen Moment, einen unglaublichen Antritt hinzulegen und damit auch die steilsten Steilpässe zu erlaufen. Eine Fähigkeit, die ihn offenbar schon zu Jugendzeiten auszeichnete. „Er hatte ein gutes Timing und wusste, wann er hinter die Kette laufen musste“, sagte sein ehemaliger Mitspieler Tord Salte kürzlich über ihn. So auch am Freitagabend gegen den 1. FC Köln, als er in 87. Minute lossprintete, um den eigentlich etwas zu lang geratenen Pass von Axel Witsel noch zu erreichen.
Zum Kotzen, das Selbstverständnis, mit dem er dann anschließend an Timo Horn vorbeizog und den Ball fast von der Grundlinie mit exakt dosierten Effet ins Tor drehte. Eklig, wie austrainiert sein Oberkörper ist, der seine Gegenspieler abprallen lässt wie Gummibälle und der vor Stolz noch ein bisschen mehr anschwoll, als der Ball die Kölner Torlinie passiert hatte und Haaland sich mit ausgebreiteten Armen vor der Südtribüne feiern ließ.
Die bisherigen 57 Minuten von Erling Haaland in der Bundesliga lassen mich das Schlimmste befürchten. Szenen wie die vom Freitagabend oder wie jene in Augsburg eine Woche zuvor, als er gleich dreimal traf, werden sich in den kommenden Wochen und Monaten wohl öfter wiederholen als mir lieb ist. Wahrscheinlich wird er nicht weiterhin alle 11,4 Minuten treffen. Aber ein Franco Di Santo wird er wohl auch nicht mehr. Schade eigentlich.