Der Text erschien im Sep­tember 2017 in 11FREUNDE #190. Damals war Queen’s Park noch ein reiner Ama­teur­verein. Im Januar 2020 unter­schrieben erst­mals in der 154-jäh­rigen Ver­eins­ge­schichte Spieler von QPFC Pro­fi­ver­träge. Seit Sommer 2020 spielt die Mann­schaft außerdem nicht mehr im Hampden Park. Der Schot­ti­sche Fuß­ball­ver­band, der das Sta­dion für die Aus­tra­gung der Heim­spiele der Natio­nal­mann­schaft bis­lang stets von Queen’s Park FC gemietet hatte, hat dem Verein das Areal für umge­rechnet knapp 6,3 Mil­lionen Euro abge­kauft. Ein Spott­preis – aller­dings hatte der Ver­band damit gedroht, das Sta­dion nicht länger zu mieten, son­dern in ein anderes umzu­ziehen. Was auf­grund der feh­lenden Miet­ein­nahmen eini­ger­maßen sicher zur Pleite für Queen’s Park FC geführt hätte. Mit Hilfe der Ein­nahmen aus dem Ver­kauf wird in der Nähe vom Hampden Park der­zeit ein neues Sta­dion gebaut. Mit 1 700 statt bisher 52 000 Plätzen.

Anläss­lich des 150-jäh­rigen Ver­eins­ju­bi­läums haben wir QPFC im Sommer 2017 besucht.

Die Liste der Männer, die mit ver­rückten Ein­fällen die Welt zu einer anderen werden ließen, ist lang: Edward Nairne erfand bei­spiels­weise das Radier­gummi, Alfred Nobel das Dynamit und Rudi Völler erfindet noch heute regel­mäßig Aus­reden, warum seine Mann­schaft nun schon wieder benach­tei­ligt wurde. Aller­dings fehlen fälsch­li­cher­weise Namen auf dieser Liste. Und wenn es um Fuß­ball und nach den Schotten geht, sind das vor allem schot­ti­sche. Genauer: Min­des­tens elf Namen von Spie­lern des Glas­gower Ver­eins Queen’s Park FC. Was wie­derum viel mit dem Jahr 1872 zu tun hat.

Da traf die schot­ti­sche Natio­nal­mann­schaft auf die eng­li­sche – zur dama­ligen Zeit eine Sen­sa­tion. Denn: Vorher hatte es welt­weit noch nie ein Län­der­spiel gegeben. Die favo­ri­sierten Eng­länder, ange­reist mit den besten Spie­lern aus neun ver­schie­denen Ver­einen und – so erzählt man es sich in Schott­land – eini­ger­maßen hoch­näsig im Auf­tritt, spielten gegen eine schot­ti­sche Aus­wahl, die sich ihre Tri­kots selber nähte und aus genau elf Spie­lern von Queen’s Park FC bestand, dem ältesten Fuß­ball­verein des Landes. Viele rech­neten mit einer Klat­sche für die Schotten. Doch statt sich abschlachten zu lassen, machten die Glas­gower ein­fach ihr Ding. Anders aus­ge­drückt: Sie revo­lu­tio­nierten das Spiel. Noch anders aus­ge­drückt: Sie passten sich den Ball zu.

In der Wis­sen­schaft gibt es dafür einen offi­zi­ellen Ter­minus: Bull­shit!“

Fußballhistoriker Ged O'Brian

Knapp 150 Jahre später passen die treu­esten Anhänger von QPFC in einen kleinen Pavillon aus Holz, den Hampden Bow­ling Club im Süden von Glasgow. Dort feiert der Verein Geburtstag, den 150. Denn gegründet hatte sich der Klub, aus dem die schot­ti­sche Natio­nal­mann­schaft her­vor­ging, bereits 1867. Es ist ein Frei­tag­abend Anfang Juli und in dem Pavillon sitzen knapp 50 Fans. An den holz­ver­tä­felten Wänden hängen Bilder der besten Bowler des Vier­tels, durch die Fenster fällt die Abend­sonne. Ansonsten: eine Theke, sechs Tische und viele Unter­arm­tat­toos.

Die Luft in dem kleinen Raum ist dünn, die Körper der Anwe­senden eher nicht, auf den Tischen steht Dosen­bier, auf den Papp­tel­lern liegen Blut­wurst und frit­tierter Fisch. Es ist jetzt 21 Uhr, die Feier ist beim Pro­gramm­punkt Pubquiz“ ange­kommen, Kate­gorie Schot­ti­sche Fuß­ball­ge­schichte“. Wes­wegen Tisch drei einen enormen Vor­teil hat. Denn dort sitzt Ged O’Brien – Fuß­ball­his­to­riker und Gründer des schot­ti­schen Fuß­ball­mu­seums. Für O’Brien sind die Fragen ein Kin­der­spiel, viele hat er einst ja selbst beant­wortet. Wer also Dinge über diesen Sport erfahren will, sollte sich mit ihm unter­halten. Bezie­hungs­weise: ihm zuhören. Denn es reicht schon, sich nur in seine Nähe zu setzen. Erzählen tut der graue Mann in den etwas zu großen Hosen von ganz alleine. Wir befinden uns hier im bedeu­tendsten Viertel der Fuß­ball­ge­schichte“, sagt er. Viele Leute behaupten zwar, die Eng­länder hätten den Fuß­ball erfunden. Doch in der Wis­sen­schaft gibt es dafür einen offi­zi­ellen Ter­minus: Bull­shit!“