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Beim Thema Über­tra­gungs­rate ver­steht der Rekord­welt­meister keinen Spaß. Ich spiele nicht auf LCD“, sagt Gianni Tor­chio ent­schlossen. Der Mitt­vier­ziger aus Mai­land nickt abschätzig in Rich­tung des ein­zigen LCD-Fern­se­hers im Raum, bevor seine Gesichts­züge dann wieder ihre übliche Weich­heit annehmen und er in ruhigen Worten zu einem Spon­tan­re­ferat über die tech­ni­schen Pro­bleme ansetzt, die ent­stehen, wenn man ein 27 Jahre altes Com­pu­ter­spiel auf einem zu modernen Fern­seher spielt. Es geht um den rich­tigen Adapter, die 65 000 x 65 000 Posi­tionen, in denen sich der Ball befinden kann, seri­elle und par­al­lele Schnitt­stellen sowie die offen­sicht­li­chen Vor­züge älterer Röh­ren­fern­seher.

Ist die Reak­ti­ons­zeit der Spieler ver­zö­gert, kannst du das Spiel ver­gessen. Auf diesem Niveau ent­scheiden die Fein­heiten“, sagt Tor­chio, der einen Acht­ziger-Jahre-Joy­stick um den Hals hängen hat wie eine unge­bun­dene Kra­watte, und sich nach seinen Aus­füh­rungen schnell an einen der anderen, älteren Fern­seher ver­drückt, bei denen nichts an Über­tra­gung ver­lo­ren­geht. Will man seinen fünften Welt­meis­ter­titel gewinnen, muss eben alles passen.

Passen, Schießen, Grät­schen? Eine Taste!

Man sieht es Tor­chio nicht unbe­dingt an, aber er ist einer von wenigen Men­schen auf der Welt, die mit Recht von sich behaupten können, in einer bestimmten Dis­zi­plin zur abso­luten Welt­klasse zu gehören. Ande­rer­seits gilt das auch für alle anderen Anwe­senden in diesem nach Moschus und Kaffee rie­chenden Raum im schwe­di­schen Lands­krona, was ganz ein­fach der Tat­sache geschuldet ist, dass ihre Dis­zi­plin von einer über­schau­baren Anzahl an Men­schen über­haupt noch aus­geübt wird: Diese 32 Männer spielen die Welt­meis­ter­schaft im Kick Off 2 aus, einer Fuß­ball­si­mu­la­tion, die 1990 für Amiga und Atari erschien. Kick Off 2 erfreute sich nach Erscheinen großer Beliebt­heit, dama­lige Fach­zeit­schriften spra­chen von einem echten Welt­meister“ unter den Games.

Das Spiel­feld wird von oben gezeigt, fürs Schießen, Passen und Grät­schen benö­tigt man nur eine ein­zige Taste, und sieht man das Spiel 27 Jahre nach Erscheinen zum ersten Mal, ist es schwer, mehr als nur eine Ansamm­lung hek­tisch hin- und her­flit­zender Pixel auf einem fuß­ball­platz­ar­tigen Hin­ter­grund zu erkennen. Warum also erfreut sich dieses Video­spiel, das sei­ner­zeit nur eine von vielen Fuß­ball­si­mu­la­tionen war, noch 27 Jahre nach Erscheinen einer der­ar­tigen Beliebt­heit, dass noch immer Men­schen aus aller Welt zusam­men­treffen, um den Welt­meister zu ermit­teln? Dass es eigene Sta­tis­tik­seiten gibt, die sämt­liche – tau­sende – offi­zi­ellen Spiele erfassen und mit einem kom­plexen Koef­fi­zi­enten eine Welt­rang­liste erstellen? Dass eine Hand­voll Enthu­si­asten eine Kick Off Asso­cia­tion“ gegründet haben?

Oliver Stender weiß die Ant­wort. Die Spiel­physik“, sagt er. Stender, braune Haare, 1,70 Meter groß, gilt unter den Experten, die gleichsam seine Kol­legen sind, als bester deut­scher Spieler, auch wenn er das nie­mals selbst von sich behaupten würde. In diesem Jahr tritt er spa­ßes­halber für Geor­gien an, weil er sich im Urlaub in das Land ver­liebt hat. Dar­über wit­zeln seine Kol­legen, ins­ge­samt spre­chen sie aller­dings ziem­lich ehr­fürchtig von ihm. Stender macht gerne Witze und wie­der­holt seine Pointen dann, wäh­rend er lacht. Doch kommt das Thema auf Kick Off 2 – und das tut es natür­lich oft – spricht er mit hei­ligem Ernst und in feinstem Fuß­bal­ler­sprech. Der Unter­schied zu anderen Spielen ist, dass der Ball nicht am Fuß des Ava­tars klebt, son­dern davon weg­springt. Das sorgt für unend­lich viele Mög­lich­keiten, wie sich die jewei­lige Spiel­si­tua­tion ent­wi­ckelt. Des­wegen ist jede Partie anders als alle vorigen. Diese Tiefe hat man sonst in keinem Spiel“, sagt Stender, und schiebt hin­terher: Man muss vom Kopf her immer voll da sein.“

Mit mir ist zu rechnen“

Seinen ersten Amiga bekam er als Weih­nachts­ge­schenk Ende der Acht­ziger, mitt­ler­weile besitzt er drei. Einer davon steht an seinem Arbeits­platz, was ent­schei­dend dafür sein dürfte, dass Stender in vielen dieser unend­lich vielen Spiel­si­tua­tionen bes­sere Ent­schei­dungen trifft als seine Kol­legen. Ich habe einen Arbeits­kol­legen, mit dem ich in der Mit­tags­pause oder nach Fei­er­abend spiele, ins­ge­samt knapp vier, fünf Stunden pro Woche.“ Das regel­mä­ßige Trai­ning, das die meisten anderen Anwe­senden in Erman­ge­lung eines geeig­neten Spiel­part­ners nicht haben, hat dazu geführt, dass mit mir zu rechnen ist“, wie Stender es aus­drückt.

Dass er sich als IT-Fach­mann im Alltag mit abso­luter State-of-the-Art-Tech­no­logie beschäf­tigt, sich in seiner Frei­zeit aber lei­den­schaft­lich einem pixeligen Neun­ziger-Jahre-Spiel zuwendet, ist für ihn kein Wider­spruch. Ich kann doch als Auto­narr auch auf Old­timer stehen.“ Seit 2005 kommt er zu den Tur­nieren, zum Titel hat es aller­dings noch nicht gereicht. Seine beste Plat­zie­rung war ein Dritter Platz vor ein paar Jahren, da habe er raus­gehen und ein wenig weinen müssen. Wie Franz Becken­bauer 1990, als er in Rom alleine über den Platz gelaufen ist“, sagt Stender und wie­der­holt lachend: Wie Franz Becken­bauer.“