Viele meinen, Virgil van Dijk hätte ob seiner beeindruckenden Saison mit dem FC Liverpool den Ballon d’Or gewinnen müssen. Anstelle von Lionel Messi. Aber das ist natürlich Unfug.
Stimmt, Virgil van Dijk hätte den Ballon d’Or anstelle von Lionel Messi im Jahr 2019 wirklich verdient gehabt. Allerdings nur, wenn Lionel Messi im Jahr 2019 keinen Fußball gespielt hätte. Aber er hat gespielt. Und wie.
Nicht falsch verstehen. Die Saison von Virgil van Dijk war beeindruckend. Er wurde mit Liverpool Champions-League-Sieger, er organisierte mit erstaunlicher Ruhe das spektakulärste Team Europas, er führte die zweitbeste Abwehr der Premier League an, er verlor hinten fast keinen Zweikampf und traf vorne überdurchschnittlich oft. Er machte aus einem sehr guten Team das womöglich beste der Welt. Insgesamt ein herausragendes Jahr des Innenverteidigers, vielleicht das beste und konstanteste, das je auf dieser Position gespielt wurde. Van Dijk ist, Stand Dezember 2019, der beste Abwehrspieler der Welt. Bloß: Beim Ballon d’Or wird nicht der beste Abwehrspieler der Welt gesucht. Sondern der beste Fußballer. Und das ist Lionel Messi.
Kein Schrank, keine Maschine, kein Tier
Komischerweise sehen das nicht alle so. Die diesjährige Wahl für Messi fiel deutlich knapper aus als sonst, am Ende hatte der 32-jährige Stürmer bei der Abstimmung nur 0,3 Prozentpunkte Vorsprung vor van Dijk. Man könnte sagen: ein Kompliment für den Niederländer und ein Zeichen von all jenen, die Defensivspieler in Bezug auf öffentliche Aufmerksamkeit für chronisch benachteiligt halten. Man könnte aber auch sagen: verdammte Narren! Denn wer kann mit gutem Gewissen die eigene Stimme an einen anderen Spieler vergeben als an den Argentinier?
Messi ist nicht wettberwerbsverzerrend schneller als seine Gegner wie Kylian Mbappé, nicht kräftiger als seine Gegner wie van Dijk, er kann nicht höher springen als alle anderen wie Cristiano Ronaldo. Er ist kein Weltklasse-Athlet im klassischen Sinne. Er ist kein Schrank, keine Maschine, kein Tier. Aber das, was er mit dem Ball anstellt (und darum geht es doch irgendwie beim Fußball?), kann eben niemand sonst. Was dafür sorgt, dass man ihm das Alter weniger anmerkt als anderen Spielern, die 15 Jahre auf höchstem Niveau gespielt haben. Bei ihm geht es nicht primär um Physis (unabhängig davon, dass Messi natürlich auch Fleiß und Arbeit in seine körperliche Verfassung investiert) – sondern um Skills.
Messi braucht keine Zufälle
Er zerschneidet mit einem einzigen Pass Viererketten. Jede Woche. Mehrfach. Er zirkelt Freistöße präzise und hart in den Winkel, so dass sie wirklich unhaltbar sind und nicht nur unhaltbar genannt werden. Beinahe jede Woche. Fast jedes seiner 684 Profitore (ja: 684 Profitore) wollte er genau so erzielen. Sein Spiel braucht keine Zufälle, kein Glück. Er kann dribbeln und Bälle mit nur einem Kontakt weiterleiten, er kann mit der Innenseite schießen und mit dem Vollspann passen und andersrum, er kann lauern und zuschlagen. An manchen Abenden (man möge bei Borussia Dortmund nachfragen) reichen ihm fünf Minuten, um ein Spiel zu entscheiden.
Gegnerische Mannschaften wollen in erster Linie ihn verhindern. Und scheitern Woche für Woche, seit mehr als einem Jahrzehnt. Weil er immer noch überrascht, Unerwartetes veranstaltet, sich mal flink dreht und mal das Tempo verschleppt, weil er den Ball auch in hoher Geschwindigkeit enger führt als jeder andere vor ihm in der Geschichte dieses Sports. Er schüttelt Spieler ab, die theoretisch seine Söhne sein könnten. Was er hat, kann man nicht lernen. Wegen ihm klatschen Trainer der anderen Mannschaft (wie kürzlich Diego Simeone), wegen ihm reisen Menschen tausende Kilometer, um ihn einmal im Leben live zu sehen. Wegen ihm sitzen Millionen Fans aus aller Welt vor den Fernsehern.