Borussia Mönchengladbach ist immer noch Tabellenführer der Bundesliga. Warum das aktuell nicht der einzige Grund ist, Fan des Vereins zu sein und warum Immanuel Kant zwar sicher kein Fußball-Fan wäre, aber die Raute im Herzen trug.
Es soll ja Leute geben, die mit dem Wort Identität nichts anfangen können. Kant nannte es gar „einen leeren Begriff ohne Gegenstand“. Er war halt kein Fußball-Fan.
Dabei ist es ganz einfach. Man kann sich aus schnöder Heimatverbundenheit mit einem Verein identifizieren oder, weil man es mit Gewinnern hält. Man kann sich damit identifizieren, für welche Art von Fußball ein Klub steht oder aber mit einzelnen Spieler. Mit dem Klang eines Vereinsnamens oder seinem Logo. Man kann sich damit identifizieren, wie großmütig sich ein Verein in der Niederlage zeigt oder damit, dass er für eine Haltung einsteht. Man kann sich mit der besonderen Geschichte eines Klubs identifizieren, mit seinem Stadion oder einfach nur damit, dass schon der Vater und die Mutter und ihre Mutter und sein Vater sich mit diesem einen Verein verbunden fühlten.
Ich identifiziere mich mit Borussia Mönchengladbach.
Das ist dumm, weil ich im brandenburgischen Potsdam geboren wurde, weil meine Familie mit Fußball so viel zu tun hatte wie Günter Jauch mit dem Vor-Wende-Potsdam und weil Borussia Mönchengladbach um die Jahre 1989/90 nicht soooo sonderlich erfolgreich war.
Rockstar-Intellektuelle und der erste Popstar
Dafür hatten sie Hans-Jörg Criens. Nur Jupp Heynckes und Herbert Laumen haben mehr Bundesliga-Tore für Gladbach erzielt als er. Er ist, das muss man wissen, der beste Spieler aller Zeiten. Auch, weil er so wahnsinnig westdeutsch aussah, was mir, als ich neun Jahre alt war, wahnsinnig imponierte und was mich beruhigte. Denn wenn nur ein Viertel aller Westdeutschen so sein würde wie Hans-Jörg Criens, dann wollte ich keine Angst haben vor einem wiedervereinigtem Deutschland.
Außerdem hat Borussia Mönchengladbach das schönste Wappen der Welt und trägt einen Namen, von dem Forscher sicher zu berichten wüssten, dass er die perfekte Anzahl an Silben, Vokalen und Konsonanten in sich trägt. Das ahnte auch Gigi Buffon, der seine Liebe zur Fohlenelf einst damit begründete, dass er als kleiner Junge so fasziniert war vom Klang dieses Klubs.
Natürlich fand ich es auch sehr, sehr gut, dass „meine“ Borussia in den Siebziger Jahren nicht nur sehr erfolgreich war, sondern „Europa im Sturm nahm“. Ein Underdog, der mit offenem Visier gegen Glamour und Geldadel in die Schlacht zog – und gewann. Unter tosendem Applaus der Rockstar-Intellektuellen und angeführt von Günter Netzer, dem ersten Popstar des Fußballs. „Mein Verein“ wusste, wie es sich anfühlte, zu gewinnen, definierte sich aber nicht darüber. Und es kam noch besser.