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Rio, Mara­canã-Sta­dion, 19. November 1969. Auf dem Rasen der ehr­wür­digen Arena stehen sich in einem Meis­ter­schafts­spiel Vasco da Gama und der FC Santos gegen­über. Das Sta­dion ist mit über 80.000 Besu­chern außer­or­dent­lich gut gefüllt. Das erstaunt umso mehr, da die beiden Ver­eine mit dem Aus­gang der Meis­ter­schaft in dieser Saison nichts mehr zu tun haben werden. Die Men­schen aus Rio sind allein gekommen, um ein Stück Fuß­ball­ge­schichte mit­zu­er­leben. Seit Wochen ist ganz Fuß­ball-Bra­si­lien, sind Medien aus aller Welt in Auf­ruhr. Ein Thema beherrscht die Öffent­lich­keit: Wann wird Pelé end­lich das 1000. Tor seiner Kar­riere schießen? Seit dem 14. November 1969 steht unver­rückbar die Zahl 999 bei den Sta­tis­ti­kern zu Buche.

Jede ver­ge­bene Chance wird heiß dis­ku­tiert

Pelé, der mit Titeln über­häufte Natio­nal­held, zwei­fa­cher Welt­meister, neun­fa­cher Regio­nal­meister mit dem FC Santos und zwei­fa­cher Copa-Libert­adores-Sieger, ist längst Lieb­ling der Massen. Der Ball­vir­tuose und mehr­fache Tor­schüt­zen­könig kann sich nach den vielen gewon­nenen Pokalen mit dem magi­schen 1000. Tor seiner Lauf­bahn nun ein ewiges Denkmal setzen. Die Zuschauer spüren, dass an diesem Tag etwas His­to­ri­sches geschehen kann und sind voller Erwar­tung. Rund um das Spiel­feld sind hun­derte Kameras auf­ge­baut, die Objek­tive allein auf Pelé gerichtet. Auf den Tra­versen und im Sta­di­on­in­nen­raum reihen sich Jour­na­listen von Fernseh- und Radio­teams aus ganz Bra­si­lien und allen Teilen der Welt anein­ander, die eigens ange­reist sind, um den his­to­ri­schen Moment der Fuß­ball­ge­schichte nicht zu ver­passen.

Der Beju­belte indes selbst emp­findet den ganzen Rummel um dieses bevor­ste­hende Tor als Last. Seit die Unsterb­lich­keits­marke in Reich­weite ist, werden seine Spiele in den Medien noch akri­bi­scher ver­folgt. Jetzt wird jede ver­ge­bene Chance dis­ku­tiert und dar­über debat­tiert, wann und wo das ersehnte Tor nur fallen könnte. Eine Lebens­phase wie unter einem Brenn­glas. In seiner 1977 in den USA erschie­nenen Bio­grafie My life and the beau­tiful game“, die er wäh­rend seines letzten Enga­ge­ments bei Cosmos New York zusammen mit dem Autor Robert L. Fish ver­öf­fent­lichte, gibt er detail­liert Aus­kunft über seine Gefühls­welt in jenem Früh­ling 1969. Für die Presse und die Fans auf der ganzen Welt war das in jedem Fall eine gute Geschichte, aber mich machte sie vor allem nervös. Ich hätte für mein Leben gern eines Mor­gens der Öffent­lich­keit berichtet, dass ich ges­tern das tau­sendste Tor erzielte – aber es noch vor mir zu haben, und das auch noch tag­täg­lich von den Zei­tungen und im Radio erzählt zu kommen, bedeutet eine große Belas­tung.“

127 Tore in einer Saison…

Der ganze Hype um dieses bevor­ste­hende 1000. Tor hatte etwa einen Monat vor dem Auf­ein­an­der­treffen zwi­schen Vasco da Gama und Santos, Mitte Oktober 1969, begonnen. Die sen­sa­ti­ons­freu­dige bra­si­lia­ni­sche Presse wurde eines Tages gewahr, dass Pelé seit seinem ersten Auf­laufen für den FC Santos 1956 nun in die Nähe der tau­send Tore-Grenze gelangt war. Zu diesem Zeit­punkt hielt er längst eine ganze Reihe an beein­dru­ckenden Rekorden. In ins­ge­samt sechs Spielen erzielte er fünf Tore, in 30 Spielen vier und in 92 Spielen gelang ihm immer noch ein Hat­trick. In einer ein­zigen Saison für den FC Santos erzielte er 1959 sage und schreibe 127 Tore. Im Kar­rie­re­schnitt schoss er jähr­lich über 70 Tore für seinen Verein. Seine Tor­quote sprengte jede nor­male Dimen­sion: in weniger als 900 Spielen hatte er es bis Mitte Oktober 1969 auf 989 Tore gebracht. In den 93 Län­der­spielen seiner Kar­riere brachte er es auf 97 Tore, eine bis heute uner­reichte Quote.

Kurz nach dem Anpfiff beginnt es im Mara­canã zu regnen. Ein tro­pi­scher Wol­ken­guss geht auf die Zuschauer, Spieler und Pres­se­leute nieder. Pelé hat an diesem Abend einen bein­harten Bewa­cher an seiner Seite. Vascos Ver­tei­diger Rene, ein Mann mit Ober­schen­keln wie Baum­stämme und einem Respekt ein­flö­ßenden Ober­körper, lässt Pelé in der ersten halben Stunde der Begeg­nung nicht aus den Augen. Egal wohin er läuft, Rene ist schon da, Pelé kommt kaum an den Ball. Aller­dings kann der Ver­tei­diger Pelé nicht das ganze Match so eng mar­kieren. In einem kurzen Moment nach einem Zuspiel erwischt ihn der Super­star auf dem fal­schen Bein, kann mit einer schnellen Dre­hung zum Sprint durch die Was­ser­la­chen ansetzen, sodass sich die Chance zu einem freien Tor­schuss bietet. Pelé zieht ab und noch bevor der Ball im Tor ein­schlägt, setzt ein gewal­tiger Tor­schrei ein. Das Blitz­licht­ge­witter der Foto­grafen ist gewaltig. In Sekun­den­bruch­teilen geht der Tor­jubel jedoch in einem kol­lek­tiven Raunen unter, als der Tor­hüter von Vasco da Gama, der argen­ti­ni­sche Natio­nal­tor­wart Edgardo And­rada, das Leder mit den Fin­ger­spitzen über die Latte lenkt. Nur einige Minuten später kommt Pelé erneut an Rene vorbei, er über­läuft zwei wei­tere Gegen­spieler und drischt den Ball an die Quer­latte. Pelé ver­sucht gedan­ken­schnell den Abpraller mit dem Kopf zu erwi­schen, aber der­weil ist Rene zur Stelle. Unglück­lich köpft er das Leder ins eigene Tor. In seiner Bio­grafie von 1977 erin­nert sich Pelé an diesen Moment: Eigen­tore lassen einen Spieler und eine Mann­schaft immer dumm aus­sehen, aber dieses Mal wurde der Ein­druck noch ver­stärkt. Die Zuschauer buhten Rene aus – weniger wegen seines Pechs, son­dern weil er ihnen mein tau­sendstes Tor ver­mas­selt hatte.“ Das 1000. Tor musste noch warten.