Er führte die Abseitsfalle in der Bundesliga ein und ließ den VfL Bochum schon in den Siebzigern ohne Mittelstürmer spielen. Gestern ist Heinz Höher im Alter von 81 Jahren verstorben. Ronald Reng über einen Mann, der den Menschen Rätsel aufgab.
Heinz Höher spielte in seiner Karriere für Leverkusen, den Meidericher SV, Twente Enschede und den VfL Bochum. Danach war er unter anderem sieben Jahre lang Trainer beim VfL und über vier Jahre beim 1. FC Nürnberg. Autor Ronald Reng schrieb 2013 ein Buch über die Geschichte der Bundesliga – erzählt am Leben von Heinz Höher, der den deutschen Fußball als Spieler, Trainer und Sportdirektor geprägt hatte.
Auch als das Alter, dieses Biest, Heinz Höher körperlich und geistig zusetzte, verlor er nie seine Fähigkeit zu überraschen. Wir gingen in seiner späten Heimat Nürnberg im Volkspark am Marienberg spazieren, er war schon über 75, und als wir auf eine breite Lichtung traten, sagte er ohne Einleitung, wie es seine Art war: „Davon habe ich immer geträumt: Hier einmal meine Nürnberger Aufstiegsmannschaft laufen zu sehen, alle nebeneinander, wie sie die ganze Lichtung zwischen den Bäumen ausfüllen würden.“
Das erschien für einen Mann, der als Fußballtrainer, nicht als Landschaftsfotograf gearbeitet hatte, ein eher ungewöhnlicher Traum zu sein. Warum er von diesem Anblick träumte, wollte Heinz Höher – wie es erst recht seine Art war – nicht näher begründen. Reizte ihn die Verbindung von dem, was er liebte, seine legendäre Nürnberger Aufstiegsmannschaft von 1985 und der Park am Marienberg? Gefiel ihm die Idee, wie mächtig seine Mannschaft wirken würde, wenn sie die ganze Lichtung ausfüllte? Oder besaß er tatsächlich eine Art fotografisches Verständnis für schöne Bilder und dachte an die optische Wirkung: junge Fußballer in Mannschaftsstärke vor dem Horizont?
Er hatte Angst vor Konflikten
Heinz Höher ließ die Menschen gerne über ihn rätseln. „Der große Schweiger“ nannten ihn die Zeitungen. Er war Trainer zu einer Zeit, als Schweigen noch als Tugend großer Männer galt: Man nahm an, er dachte nach. Und besondere Ideen hatte Heinz Höher tatsächlich. In den siebziger Jahren, als noch niemand auf die Idee kam, in Trainern Revolutionäre oder Visionäre zu sehen, führte er mit seinem Team des VfL Bochum die Abseitsfalle in der Bundesliga ein. Einmal ließ er seine Elf auch ohne Mittelstürmer spielen, die Außenstürmer und offensiven Mittelfeldspieler sollten abwechselnd in den Leerraum stoßen und den Gegner so verwirren. Bochum schlug Hertha BSC 5:0. 35 Jahre später meinten wir alle, es sei eine wahnsinnige Neuheit, dass Pep Guardiola beim FC Barcelona ohne nominellen Mittelstürmer spielte und wir nannten das fortan falsche Neun.
Heinz Höher war ein Trainer, der Ären begründete. Er hielt den klammen VfL Bochum gegen alle finanzielle Logik sieben Jahre lang in der Bundesliga und schuf so die Legende der Unabsteigbaren. In den Achtzigern dann vollbrachte er den vorletzten großen Aufbruch des 1. FC Nürnberg. Sein dicker Freund, Nürnbergs damaliger Präsident Gerd Schmelzer, begründete seine Faszination für Höher so: „Der Heinz konnte dich so wahnsinnig angenehm anschauen, während du etwas erzähltest.“ Dass Heinz Höher selbst so ungern redete, hatte nicht nur etwas mit der Zeit zu tun. Er hatte Angst vor Konflikten. Also schwieg er sie aus. Wenn er in Bochum einem Spieler sagen musste, er stehe am Samstag nicht in der Startelf, ging er zu seinem Lieblingsspieler Jürgen Köper und befahl Köper: „Sag du ihm das. Ich habe dazu keine Lust.“
„Dann holt ihn euch endlich!“
Als in Nürnberg die Mannschaft im Herbst 1984 erklärte, sie verstehe Heinz Höhers Schweigen nicht mehr und könne nicht mehr unter ihm trainieren, sah sich Präsident Schmelzer genötigt, nicht den Trainer, sondern die komplette Mannschaft rauszuwerfen, ein einmaliger Vorgang im Profifußball. „Die Rebellion vom Valznerweiher“ ist ein Stück deutsche Fußballgeschichte. Dazu gehört, dass Heinz Höher postwendend aus einem Haufen Juniorenkicker einen Bundesligaaufsteiger formte, den Verein für den Uefa-Pokal qualifizierte und aus Jungen wie Stefan Reuter und Hansi Dorfner Nationalspieler machte. Schmelzer saß, Zigarette rauchend, in der Halbzeitpause mit in der Umkleidekabine und beobachtete gebannt, wie Höher die Jungen motivierte. „Was ist das?“, rief Heinz Höher und hielt mit beiden Händen einen Ball in die Luft. „Ein Ball“, wagte schließlich ein Spieler zu sagen. Heinz Höher warf den Ball auf den Boden, so dass er bis an die Decke sprang. „Dann holt ihn euch endlich!“, rief er.