Wollte Lucien Favre Mats Hummels eigentlich gar nicht verpflichten? War der Transfer ein Alleingang von Hans-Joachim Watzke? Angeblich gibt es beim BVB Zoff um den neuen, alten Abwehrchef. Sicher ist: Der Transfer sorgte schon im Sommer für mehr Fragen als Antworten.
Hinweis: Der Artikel erschiend erstmals in 11FREUNDE #213 im August.
Als Fußballfunktionär kann man heute nicht mal mehr in Ruhe ins Kino gehen. Da wollte der Präsident des FC Bayern München Ende Juni einen schönen Abend im Mediapark in Köln genießen und sich in aller Ruhe einen Film anschauen. Aber stattdessen sollte er Fragen zu den Bundesligatransfers des Sommers beantworten. Und noch nicht mal zu den eigenen. Nein, Uli Hoeneß wurde gebeten, sich zu den zahlreichen Verstärkungen von Borussia Dortmund zu äußern. Das tat er dann auch. „Der BVB hat viele Spieler gekauft“, bemerkte Hoeneß. „Ob er sich verstärkt hat, sehen wir im Laufe der Saison.“ Damit entschwand er, um die Dokumentation über Toni Kroos zu begutachten. Einen Spieler, für den der FC Bayern einst ziemlich genau die Summe Geld bekam, die er nun für Mats Hummels einstreicht.
Auf eben jenen Hummels war das pointierte Statement von Hoeneß wohl gemünzt. Zwar erfährt man natürlich immer erst im Verlauf einer Saison, ob Neuzugänge wirklich einschlagen, selbst wenn es sich um deutsche oder belgische Nationalspieler wie Julian Brandt, Nico Schulz und Thorgan Hazard handelt, die der BVB neuerdings auf der Gehaltsliste führt. Andererseits haben die Dortmunder aber auch einen Verteidiger verpflichtet, der in den letzten Monaten nicht nur Stammkraft und Führungsspieler bei Bayern München war, sondern eindeutiger Leistungsträger. Und so jemand sollte Borussia Dortmund nicht zweifelsfrei verstärken können? Kein Wunder, dass die Medien die Sätze von Hoeneß für schnippisch hielten und als „Stichelei“ oder „Spott“ bezeichneten.
Zu wenig Wertschätzung in München
Aber vielleicht war der Präsident des FCB einfach nur ehrlich. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er zu jenen Entscheidungsträgern beim Rekordmeister zählt, die von Hummels’ sportlichen Qualitäten oder zumindest von seinem Spielstil nicht restlos überzeugt waren. Eben diese Grundskepsis führte ja erst zum spektakulärsten innerdeutschen Transfer der letzten Jahre, der Rückkehr des ehemaligen Dortmunder Kapitäns zum BVB. „Ein Sportler wird immer auf zwei Arten entlohnt“, sagt Hermann Hummels, nicht nur der Vater von Mats, sondern auch sein Berater, zu den Hintergründen des Deals. „Erstens natürlich mit Geld. Zweitens durch Wertschätzung. Beides ist wichtig, und beides muss in Balance sein.“
Was wohl bedeutet: Viel Geld macht nicht glücklich, wenn die Wertschätzung fehlt; viel Wertschätzung hilft nicht, wenn es auf dem Konto nicht stimmt. Da es auf dem Konto von Mats Hummels stimmen wird, hatte sein Entschluss, den FC Bayern nach drei Jahren wieder zu verlassen, offenkundig mit der anderen Art der Entlohnung zu tun. Was verständlich wäre. Wenn man als Weltmeister zu seinem Heimatklub zurückkommt und der dann in den nächsten drei Jahren etwa 135 Millionen Euro für drei andere, jüngere Innenverteidiger ausgibt, darf man ins Grübeln geraten.
„Hummels hat die Siegermentalität“
So gesehen müssten eigentlich alle Beteiligten mit dem Deal höchst zufrieden sein. Die Bayern stoßen mit Profit einen Spieler ab, der nicht perfekt ins System ihres Trainers passt und von dem man außerdem das eine oder andere schlagzeilenträchtige Interview befürchten musste, sobald er nur noch dritte Wahl hinter Niklas Süle, Benjamin Pavard und Rekordtransfer Lucas Hernandez gewesen wäre. Der BVB bekommt in einer Person vereint die beiden Spielertypen, die ihm der internen Analyse nach zum Titel gefehlt haben: Einen erfahrenen Verteidiger, der in entscheidenden Momenten die Nerven behält, und einen Gewinner, der seinen trophäenarmen Mitspielern vermittelt, was den Unterschied zwischen Platz eins und zwei ausmacht. Wie Michael Ballack mal bemerkte: „Hummels hat die Siegermentalität. Er hat die Entschlossenheit, die man braucht, um Titel zu gewinnen. Er ist ein Typ.“
Hummels schließlich kommt zu einem Klub, in dem die handelnden Personen selbst dann noch große Stücke auf ihn hielten, als er das Trikot eines ungeliebten Rivalen trug. Im Hause Hummels hat niemand vergessen, welche heute prophetisch klingenden Worte Borussias Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke beim Bankett nach dem Pokalfinale 2016 an den scheidenden Spieler richtete: „Ich gehe davon aus, dass wir uns wiedersehen. Und ich kann dir eines sagen: Du bist beim BVB immer extrem willkommen.“