Kosovo darf erst seit drei Jahren an offiziellen Fußballwettbewerben teilnehmen. Jetzt haben sie gleich zwei Chancen, sich für die EM zu qualifizieren. Wie ist das möglich?
Könnte doch jeder Konflikt mit einem Eierbecher gelöst werden. So wie der zwischen Blefuscu und Liliput, die sich – Leser von Gullivers Reisen werden das wissen – über Jahre untereinander bekriegten. Uneinig darüber, ob ein gekochtes Ei nun an der spitzen oder stumpfen Seite aufgeschlagen werden sollte. Was Blefuscu, Liliput und der Kosovo gemeinsam haben? Sie sind allesamt per Definition: Zwergenstaaten.
Doch nur der Kosovo kann dieser Tage auch sportlich überzeugen. Was zum einen daran liegt, dass Blefuscu und Liliput nur fiktive Orte sind, zumindest wurde ihr Terrain, das südlich von Sumatra liegen sollte, nie gefunden. Zum anderen, weil die kosovarische Nationalmannschaft seit nunmehr eineinhalb Jahren kein Spiel mehr verloren hat und sich nur drei Jahre nach dem ersten Länderspiel der Verbandsgeschichte auf dem besten Weg zur Europameisterschaft befindet. Wie ist das möglich?
Knappe Abstimmung
„Ich bin sehr ergriffen. Ich danke ihnen vor allem im Namen der jungen Spieler meines Landes für diesen Beschluss. Das ist ein historischer Tag für uns“, hatte Fadil Vokrri gesagt, Präsident des kosovarischen Verbandes FFK. Es war der 3. Mai 2016 und Fadil Vokrri hielt einen dunkelblauen Ball mit der Flagge seines Landes in der einen Hand und wischte sich mit der anderen die Tränen aus dem Gesicht. Soeben war Kosovo in die Uefa aufgenommen worden.
Es würde eine knappe Abstimmung, hatten Unterstützer wie Gegner des Antrags gewarnt. Denn der Kosovokrieg von 1998 bis 1999 war weitaus extremer und ernster als die Frage nach einem weichgekochten Ei. Doch 2008 hatte die Republik im Herzen des ehemaligen Jugoslawiens ihre Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Das erkennen mittlerweile 111 Staaten an – Serbien unter anderem nicht.
Das erste Tor schoss ein Norweger
„Die Grenzen eines Landes dürfen nicht geändert werden. Eine selbsterklärte Republik darf nicht die Erlaubnis erhalten, UEFA-Mitglied zu werden“, hatte Serbiens Fußballchef Tomislav Karadzic deshalb gesagt. Das Ergebnis: 28 Uefa-Mitglieder sprachen sich für eine Aufnahme Kosovos aus, 24 dagegen, zwei Verbände gaben ungültige Stimmzettel ab. Kosovo war fortan Uefa-Mitglied und wenig später auch Teil der Fifa.
Wer noch gegen eine Aufnahme stimmte? Länder, so heißt es im Hintergrund, die wohl um ihre eigenen Nationalspieler fürchteten. Um Männer, deren Familien als Flüchtlinge ins Land gekommen waren, und die nun auch für den Kosovo spielen durften. Das erste Tor der kosovarischen Länderspielgeschichte schoss Valon Berisha – ein 20-facher norwegischer Nationalspieler.
Nicht unerfahren
Das Team des Schweizer Trainers Bernard Challandes ist gespickt mit diesen Spielern. Fanol Perdedaj und Donis Avidjaj, die für die deutschen Juniorenteams aufliefen. Oder Milot Rashica und Kapitän Samir Ujkani, die vorher für Albanien spielten. Gleich fünf Akteure haben Schweizer Wurzeln. Der Trainer selbst sagt in einem Interview mit „watson.ch“: „Das geht im Kosovo schnell. Da spielt einer zwölf Minuten für Braunschweig und schon muss er A‑Nationalmannschaft spielen. Immer wenn ein Kosovare irgendwo in Europa auch nur eine Minute gespielt hat, ruft irgendjemand den Verband an.“ Kosovo ist ein Zwergenstaat, aber seine Fußballer nicht unerfahren – und genau deshalb auf dem besten Weg zur Europameisterschaft.