Nationalspieler Alex Oxlade-Chamberlain schlich sich in einen Pulk von England-Fans. Was er dort erfuhr, zeigt auch, wie fremd sich Fußballer und Fans geworden sind.
Sein Outfit erinnerte an einen dieser Agentenfilme aus den 60er- oder 70er-Jahren: ein Hut, tief ins Gesicht gezogen, dazu eine Nerdbrille mit extra dickem Gestell. Fehlte bloß noch die aufgeschlagene Zeitung vor dem Gesicht, um das Klischeebild des Old-School-Spions abzurunden. Doch das wäre zu auffällig gewesen im Zeitalter des Smartphones – nicht einmal James Bond liest heute noch die Printausgabe der „London Times“.
Mit Hut und Brille getarnt also hatte sich Alex Oxlade-Chamberlain am Abend des 28. Juni 2018 unerkannt in den Londoner Hipster-Pub „Boxpark“ im Stadtteil Shoreditch geschmuggelt. Er war frühzeitig erschienen und wählte einen strategisch günstigen Sitzplatz, der etwas abseits lag, aber dennoch nah genug dran am Zentrum des Geschehens. An den Leuten. Und an ihren Gesprächen.
Oxlade-Chamberlain, der englische Nationalspieler, der seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2018 wegen eines Kreuzbandrisses hatte absagen müssen, wollte eine berufliche Fortbildung der besonderen Art absolvieren: einen Spionagetrip in die Seele der Fans. An diesem Abend traf England im letzten Spiel der WM-Vorrunde auf Belgien. Es ging zwar nicht mehr ums Weiterkommen, aber immerhin noch um Platz 1 in der Gruppe. Und natürlich um „Ingländs“ Ehre.
„Alle waren dort: Ärzte, ein paar Banker, zwei Klempner im Blaumann“
„Ich habe an diesem Abend zum ersten Mal in meinem Leben ein Spiel zusammen mit Fans meiner eigenen Mannschaft geguckt“, erzählte Oxlade-Chamberlain nun, im Vorfeld des EM-Qualifiktions-Spiels gegen den Kosovo (Dienstag, 20.45 Uhr). Was der Mittelfeldstar des FC Liverpool bei seinem Ausflug ins Paralleluniversum erfuhr und was das in ihm ausgelöst hat, ist einerseits bemerkenswert. Andererseits zeugt es auch davon, wie dramatisch fremd sich Fußballer und Fans in der heutigen Zeit geworden sind.
„Mir war sofort klar: So einen Pub-Besuch hätte ich schon viel früher machen müssen“, erzählte Oxlade-Chamberlain. Und seine Augen leuchteten wie die eines Zehnjährigen beim Anblick eines neuen Lego-Raumschiffs. „Ich spürte, was England (das Nationalteam; die Redaktion) wirklich bedeutet: Die Leute kamen direkt von der Arbeit herein gehetzt, noch mit Hemd und Krawatte. Alle waren dort: Ärzte, ein paar Banker, zwei Klempner im Blaumann. Da herrschte ein wirres Durcheinander, aber eines einte alle Menschen dort: wie sie mit dem Team fieberten. Ich hatte das noch nie so intensiv aus der Mittendrin-Perspektive gespürt. Es erinnerte mich auf beeindruckende Weise daran, wie großartig es ist, für England spielen zu dürfen – und wie wichtig diese Spiele sind.“