Afghanistans Nationaltrainerin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Fifa und Präsident Gianni Infantino. Es geht um Vergewaltigungen und um unterlassene Ermittlungen.
Am Ende wandte sich Kelly Lindsey direkt an FIFA-Präsident Gianni Infantino, obwohl der gar nicht in der Nähe war. „Du respektierst den Frauenfußball nicht – nicht die Spielerinnen, nicht die Coaches, nicht die Funktionäre, nicht die Schiedsrichter“, schäumte die US-Amerikanerin, die seit 2016 als Cheftrainerin der afghanischen Frauen-Nationalmannschaft fungiert.
Die 39-Jährige Ex-Nationalspielerin der Vereinigten Staaten hatte am Rande der Frauen-Weltmeisterschaft in Lyon eine Pressekonferenz einberufen. Weil sie sich einiges von der Seele reden wollte. Und weil sie nicht weiter dulden wolle, dass in Afghanistans Fußball eine Reihe von schwersten Sexualverbrechen unter den Teppich gekehrt wurde. Und das, so Lindsey, dank untätiger Mithilfe des von Infantino gesteuerten Weltverbandes Fifa.
Desinteresse der Fifa?
Konkret geht es um brutale und offenbar von höchster Stelle dirigierte Vergewaltigungs-Orgien durch hochrangige Funktionäre des afghanischen Verbandes. Um schwer verletzte, traumatisierte Fußballerinnen, die sich diesem Martyrium unterziehen mussten, um für ihr Land spielen zu dürfen. Die laut gemeinsamer Ermittlungen von Fifa und afghanischen Behörden auf einer Art Casting-Couch teils betäubt, später vergewaltigt und anschließend heftig blutend liegen gelassen wurden. Und um ein angebliches Desinteresse der Fifa an einer weitergehenden Aufklärung dieser abscheulichen Taten.
„Sie haben gegen niemanden sonst außer den Präsidenten ermittelt“, klagte Kelly Lindsey den Weltverband an. Der einstige erste Mann im afghanischen Fußball, ein gewisser Keramuddin Keram (57), ist bereits Anfang Juni aus allen Ämtern entfernt und auf Lebenszeit für sämtliche Funktionen im Fußball gesperrt worden. Außerdem winkt ihm ein Strafverfahren.
Eine Ermutigung an die Frauen dieser Welt
Zu überwältigend waren die belastenden Beweise gegen den schwergewichtigen Boss, der sich eigens für seine abscheulichen Zwecke ein Hinterzimmer hatte einrichten lassen. Die Fifa verhängte neben der Sperre gegen Keram eine Geldstrafe in Höhe von rund einer Million Euro. Doch letztlich habe Infantinos Institution „nur an der Oberfläche“ gegraben, betonte Lindsey.
Tatsächlich, so ließ die bekennende Frauenrechtlerin aus Omaha (Nebraska) durchblicken, reiche das Ausmaß der Verbrechen und die Zahl der Täter noch weiter. Sie selbst habe der Fifa wichtige Hinweise übereignet, die jedoch nicht weiter verfolgt worden seien: „Wir gaben ihnen eine klare und präzise Möglichkeit, das Richtige zu tun und zu beweisen, dass sie integer sind“, klagte Lindsey wenig verklausuliert an. „Wir gaben ihnen die Möglichkeit, sich zu trauen zu leuchten.“ Wobei Letzteres als Anspielung auf das Fifa-Motto für die laufende Weltmeisterschaft zu verstehen ist – „Dare to shine“. Eine Ermutigung an die Frauen dieser Welt, für ihre Rechte einzustehen.