Mit Luca Waldschmidt spielt sich derzeit ein Talent ins Rampenlicht, das die gesamte Saison über vom SC Freiburg erfolgreich versteckt worden war. Jetzt geht im Breisgau die Angst um: Lässt Waldschmidt die Fußballwelt heute schon wieder aufhorchen?
Fußball ist ein Wartespiel. Meist passiert lange Zeit nicht viel und dann, in einem Augenblick, ändert sich alles. Spiele. Meisterschaften. Manchmal Karrieren.
Am vergangenen Sonntag lief die 14. Spielminute eines Vorrundenspiels der U21-Europameisterschaft, Deutschland spielte gegen Österreich, als die Zuschauer im Stadion in Udine wohl Zeuge eines solchen Moments wurden. Nicht, weil er das Spiel entschieden hätte, es endete 1:1. Auch auf den Ausgang der Europameisterschaft hatte der Moment wenig Einfluss. Aber für die Karriere des deutschen Spielers mit der Nummer 10 könnte der Augenblick entscheidend gewesen sein.
In jener 14. Spielminute bekam Luca Waldschmidt, 23 Jahre alt, in der gegnerischen Hälfte einen Pass von Jonathan Tah zugespielt. Er nahm ihn an, drehte sich zum Tor – und wusste nicht, was er tun sollte. Passen ging nicht. Vielleicht auf den Ball stehen, Kopf hochnehmen, wie es Kreisligatrainer hin und wieder empfehlen? Waldschmidt entschied sich anders.
Aus dem Stand schoss er den Ball, sanft ansteigend, in Richtung des österreichischen Torwarts, der 30 Meter entfernt stand. Es war ein Schuss, bei dessen Abgabe man schon ahnte, dass er interessant werden könnte, und in dessen Verlauf sich Augen auf der ganzen Welt geweitet haben dürften. What a strike, sagt der Engländer in so einem Fall, „ein Strich“ der deutsche Kreisligatrainer, was nicht ganz richtig ist, weil Waldschmidts Ball noch eine leichte Rechtskurve beschrieb, ehe er im Winkel einschlug. Es war jedenfalls ein Tor, das Zuschauer selten zu sehen bekommen, eines, das bei großen Klubs Geldscheine lockermacht – und gleichzeitig eines, das bei Fans des SC Freiburg Bestürzen auslöste.
Jeder im Schwarzwald-Stadion konnte sehen, wie gut Waldschmidt war
U21-Turniere sind ein bisschen wie dörfliche Tanzlokale. Man macht sich schick, in der Hoffnung, dass jemand anbeißt. Eine Bühne. Ehemalige Torschützenkönige: Andrea Pirlo, Klaas-Jan-Huntelaar. Die Besten der Jüngsten treten an, in diesem Jahr zum Beispiel Moise Kean oder Luka Jovic. Nun bestehen zwei Unterschiede zwischen diesen beiden Topstürmern und Luca Waldschmidt: Nach drei Spielen hat Waldschmidt fünf Treffer geschossen, Kean keins, Jovic keins. Und: Statt bei Juventus oder Real Madrid spielt Luca Waldschmidt eben beim SC Freiburg.
Freiburg-Fans sind in dieser Hinsicht leidgeprüft. Wann immer einer ihrer Spieler sich schick macht und auf eine Bühne tritt, hoffen die Fans, sein Werben möge unerwidert bleiben. Nur nicht auffallen. Denn letzteres hieße: ins Blickfeld anderer Vereine zu geraten. Finanzstärkerer. Waldschmidts Schuss war eher das Gegenteil von „nicht auffallen“. Dabei war die Saison gut verlaufen. Waldschmidt war in Freiburg die Verstärkung, die der Verein in der Offensive benötigt hatte nach dem Weggang von Maximilian Philipp und Vincenzo Grifo vor zwei Jahren. Trickreich, schnell, torgefährlich. Jeder im Schwarzwald-Stadion konnte sehen, wie gut dieser Waldschmidt war. Gleichzeitig überragte er selten. Schoss kaum Traumtore. Er spielte gerade so gut, wie man spielen kann, bevor große Vereine aufmerksam werden.
Seit Waldschmidts Kunstschuss ist es damit endgültig vorbei. Nun finden sich in Transfermarktforen und bei Twitter ungezählte Beiträge. Bayern-Fans mutmaßen, Waldschmidt sei der perfekte Lewandowski-Backup. Dortmund-Fans glauben, der Stürmer passe am besten zum BVB. Die „Gazzetta dello Sport“ nennt Waldschmidt schon „il bomber“, berichtet über seine Vespa und bringt ihn – nur logisch – mit Lazio Rom in Verbindung. Die Bild berichtet, Leipzig habe Interesse. Und wer weiß, was irgendwelche englischen Manager gerade aushecken, was für Summen sie zu zahlen bereit sind. Jovic null, Waldschmidt fünf. Macht 300 Millionen. Und dann ist da ja noch die Sache mit der Gemüsekiste.