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86. Minute. Joshua Mees fällt die Eck­ball-Her­ein­gabe vor die Füße, er zieht ab, Bochums Tor­hüter Rie­mann ist noch am Ball, kann ihn aber nicht halten. Tor! 2:2. Auf den Tri­bünen fliegt das Bier in die Luft, Jubel, Geschrei, Umar­mungen. Manche stehen ein­fach nur, irgendwie fas­sungslos.

Dann wieder: Eisern Union! Eisern Union! Eisern Union!“

In Dresden liegt Pader­born bereits 1:3 zurück. Dem 1. FC Union Berlin fehlt ein ver­dammtes Tor zum direkten Auf­stieg in die Bun­des­liga. Es wird nicht fallen. Aber in den ver­blei­benden neun Minuten des Spiels jagt eine Mischung aus Adre­nalin, Trä­nen­druck, Bil­der­sturm, Hoff­nung, Stolz, Freude, Bib­bern und Zit­tern durch meinen erschöpften Geist und Körper, die ich wohl nie, nie­mals ver­gessen werde.

Gib nie­mals auf und glaub an dich“

Nach dem Abpfiff macht sich für kurze Zeit Erschöp­fung und Fas­sungs­lo­sig­keit breit, bei allen: bei den über 5000 mit­ge­reisten Unio­nern, auf dem Rasen. Unser Tor­wart Rafal Gikie­wicz sitzt auf dem Rasen. Und man ahnt es: Er heult. Es ist ein Moment, in dem klar ist, dass man Zeuge eines Bei­nahe-Wun­ders geworden ist. Aber Wunder von Bochum. Dit klingt doch ooch irgendwie scheiße“, raunt einer. Also kein Wunder, aber Rele­ga­tion, gegen den VfB Stutt­gart.

Dann wieder Gesang, so laut, dass man ihn im 500 Kilo­meter ent­fernten Köpe­nick hören kann. Gib nie­mals auf und glaub an dich. Dann kann der Sieg nur dir gehören!“ Es ist auch das erste, was ich in meinem Kopf höre, als ich heute morgen auf­wache.


Union-Berlin-Fans in Bochum

Ich bin ja kein Ur-Unioner, son­dern einer dieser Zuge­zo­genen, dazu ein Wessi, der nach Umwegen über das Rhein­land, Belarus, Aser­bai­dschan und Neu­see­land in Berlin lan­dete – und dann zu Union kam. Zu einer Zeit, als durch die Alte Förs­terei noch der Geruch der Nost­algie waberte, der Verein mit sich rang, um wieder auf die Beine zu kommen. Mich packte von Anfang an diese Stur­heit und Über­zeu­gung, mit der die Unioner ihre Mann­schaft besangen, auch wenn sie mies spielte, was zu jener Zeit sehr häufig vorkam.

Mir gefiel diese Selbst­ironie, die sich durch die Gesänge und durch das Selbst­ver­ständnis zog, und die Auf­op­fe­rungs­be­reit­schaft und die Hin­gabe, mit der Union gelebt wurde. Das ent­sprach meinem Gefühl der Frei­heit, Melan­cholie und der Selbst­be­stimmt­heit, und meiner Her­kunft aus einem Arbei­ter­haus­halt.

Am Anfang lebte ich noch ein dop­peltes Fan­leben, zusammen mit dem Verein, bei dem ich als Fan sozia­li­siert wurde, von dem ich mich aber aus ver­schie­denen Gründen über die Jahre schon ent­fremdet hatte; über die Zeit aber, mit der Mit­glied­schaft, mit der ersten Dau­er­karte, mit all den Aus­wärts­fahrten, mit einem Fan­kultur-Pro­jekt, was ich mit einem Kumpel grün­dete, obsiegte der Eiserne Virus. Es ist eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass man sich das Unioner-Sein erar­beiten und erkämpfen muss. Inte­gra­tion bekommt man nicht geschenkt.