Erstmals in Deutschland wird Polizeigewalt aus der Opferperspektive betrachtet. Was die Ergebnisse für das Verhältnis zwischen Fußballfans und der Polizei bedeuten könnten, erklärt der Leiter des Bochumer Forschungsprojekts, Professor Tobias Singelnstein.
Professor Singelnstein, ihr Projekt will Polizeigewalt aus der Perspektive von Opfern erforschen. Warum?
Die Polizei ist befugt, in bestimmten Situationen Gewalt anzuwenden, um polizeiliche Maßnahmen durchzusetzen, wenn es gar nicht anders geht. Das tut sie tausendfach jeden Tag. Natürlich passieren dabei Fehler und kommt es auch zu Missbrauch. Das wollen wir untersuchen, weil das ein Bereich ist über den es bisher nur sehr wenige Erkenntnisse gibt.
Wie kommen Sie zu der Erkenntnis, dass Polizisten ihr Gewaltmonopol missbrauchen würden?
Es gibt Statistiken der Staatsanwaltschaften, die Verfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Gewaltausübung gesondert zählen. Darin sehen wir, dass es mehr als 2100 solcher Verfahren pro Jahr in Deutschland gibt. Und das ist nur das Hellfeld, also die Fälle die zur Anzeige gebracht werden. Sehr viele von diesen Verfahren werden eingestellt und nur ein ganz geringer Teil – weniger als drei Prozent – wird angeklagt und kommt deshalb vor Gericht. Wir wollen das systematisch untersuchen und auch einmal die andere, die Seite der Betroffenen hören. Was sind das eigentlich für Situationen? Wie entwickeln sie sich? Wie gehen die Betroffenen nachher damit um? Wie sieht das Dunkelfeld aus?
Welche Methode haben Sie für Ihre Studie gewählt?
Die Studie gliedert sich in zwei Teilprojekte. Zum einen die quantitative Opferbefragung, die gerade durchgeführt wird. Wir haben uns dabei für einen Onlinefragebogen entschieden, den Betroffene ausfüllen können. Die Befragung ist anonym, was gängig ist bei solchen Befragungen. Im zweiten Projektteil werden wir Interviews mit Experten führen, wie etwa Richtern, Strafverteidigern und Opferberatungsstellen, um die Ergebnisse des ersten Teils mit Expertenmeinungen abzugleichen.
Warum sprechen Sie für Ihre Studie explizit Fußballfans an?
Weil wir annehmen, dass das ein Bereich ist, der in einem besonderen Maß betroffen ist. Es gibt zwischen Fans und Polizei viel Kontakt und ein schon länger etabliertes Konfliktverhältnis. Deshalb gehen wir davon aus, dass es in diesem Konfliktverhältnis auch häufiger zu solchen Vorfällen kommt, als in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Spielen da nicht auch noch andere Gründe eine Rolle, als dieses Konfliktverhältnis?
Natürlich, da spielen eine ganze Reihe von Gründen eine Rolle, die diese Kontakte prägen. Welche das genau sind, wollen wir mit unserer Studie gerade untersuchen. Zugleich ist die Polizei in der jüngeren Vergangenheit bemüht, den Bereich Fußball deutlich stärker zu regulieren, was natürlich nicht ohne Folgen bleibt.
Nach Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans und Polizei werden häufig Szenen diskutiert, die sich für den unbeteiligten Beobachter sehr eindeutig abgespielt haben. Aber ab welchem Punkt ist die von Ihnen untersuchte Polizeigewalt rechtswidrig?
Es ist gesetzlich konkret geregelt, in welchen Situationen die Polizei Gewalt einsetzen darf, um beispielsweise eine Festnahme oder einen Platzverweis durchzusetzen. Der Einsatz von Gewalt ist dabei immer die „ultima ratio“ und muss stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Er muss also erforderlich sein, das heißt es darf kein milderes Mittel geben, und er muss angemessen sein, also im Verhältnis zum eigentlichen Anlass stehen.