Xavi war Taktgeber für Barcelona und Spanien, den erfolgreichsten Mannschaften nach der Jahrtausendwende. In den Ensembles aus Superstars blieb er oft im Schatten seiner Mitspieler. Doch er machte sie erst zu den Besten der Welt.
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Madrid, 34. Spieltag, 2. Mai 2009. Es ist die Schlussphase des Clásicos. Es steht 6:2 für den FC Barcelona, das Spiel und die Meisterschaft sind damit entschieden. Xavi hat bereits vier der sechs Tore vorbereitet und dirigiert weiter. Der Ball ist nicht mal in seiner Nähe, doch ständig bewegt er den Kopf. Wie ein Schwimmer, der zwischen den Zügen kurz nach Luft schnappt, schaut der Regisseur des FC Barcelona nach links, nach rechts, prägt sich ein, wo alle seine Mitspieler stehen, wer gedeckt ist, wo ein freier Raum ist. Dann sprintet er los, zieht Fernando Gago auf sich, auch Gabriel Heinze orientiert sich zu ihm. Plötzlich ist Samuel Eto’o komplett frei – weil sich dessen Gegenspieler auf Xavi konzentriert. Auch wenn der Kameruner im Anschluss das 7:2 nicht schießt: Der kleine Katalane braucht nicht einmal den Ball, um seinen Mitspieler in Szene zu setzen. „Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht Räume zu suchen. Ich habe bei Spielen immer meinen Kopf in alle Richtungen gedreht, deswegen hatte ich den Spitznamen: Das Mädchen aus Der Exorzist“, sagte Xavi in einem Interview mit dem französischen Magazin So Foot.
Mehr als die Hälfte seines Lebens suchte Xavi für Barça nach Räumen. Mit elf Jahren begann er seine Ausbildung in La Masia. 24 Jahre später verabschiedete er sich als Weltmeister, zweifacher Europameister, vierfacher Champions-League-Sieger und achtmaliger spanischer Meister, hat 769 Spiele gemacht und 182 Tore vorbereitet. Er spielte mit Pep Guardiola und Frank de Boer. Mit Ronaldinho und Deco. Mit Messi und Neymar. Doch vor allen Dingen spielte er mit Andrés Iniesta. Das Duo prägte über 15 Jahre lang das Spiel des FC Barcelona.
Wächter des Raumes
Xavis Glanzzeit begann 2003 unter Frank Rijkaard. Die Katalanen hatten lange keinen bedeutenden Titel mehr gewonnen und der neue Trainer legte die Verantwortung für das Spiel in die Hände des damals 23-jährigen Mittelfeldspielers – und dort blieb sie für die nächsten zwölf Jahre. Der niederländische Trainer war der erste, der sich traute, Xavi und Iniesta regelmäßig gemeinsam aufzustellen. Davor hieß es in Barcelona: „O Xavi, o Iniesta.“ Entweder der eine, oder der andere. Spaniens Coach Luis Aragonés tat es Rijkaard ein Jahr später gleich. Das Duo harmonierte perfekt, diktierte fortan das Spiel des FC Barcelona und der spanischen Nationalmannschaft. Während Xavi auf seinem Höhepunkt spielte, spielten seine Mannschaften nicht nur den schönsten Fußball, den die Welt seit langem gesehen hatte, sie waren auch wahnsinnig erfolgreich.
Xavi war kein klassischer offensiver Mittelfeldspieler, kein klassischer Zentraler Mittelfeldspieler. Auf seinem Rücken trug er die Sechs, im Spiel nahm er jede Position im Mittelfeld ein. Xavi wirkte nie besonders schnell, nie besonders robust. Er sah nie aus, wie einer der besten Fußballer der Welt. Mit seinen Karohemden und der immer gleichen hochgegelten Kurzhaarfrisur wäre er auf dem Passeig de Grácia in Barcelona locker als einer der vielen Geschäftsmännern durchgegangen. Nur seine Augen verrieten ihn. Immer wach, immer suchend. „Es ist eine Marotte von mir. Wenn ich mich in einen Raum setze, suche ich mir den Stuhl, von dem aus ich alles im Blick habe. Ich mag keine Überraschungen“, sagte er So Foot.