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Im April 2017 trafen wir Heimir Hall­grimsson in seiner Heimat. Wir spra­chen mit ihm über Islands Fuß­ball, Talent­scou­ting und saßen auf seinem Zahn­arzt­stuhl. Ges­tern trat Hall­grimsson von seinem Amt als Natio­nal­trainer zurück, hier lest ihr die Repor­tage erst­mals online. 

Die oberste Etage im Haus von Heimir Hall­grimsson besteht aus nur einem Zimmer. Über Hei­maey hinweg, eine Insel vor der Süd­küste Islands, blickt der islän­di­sche Natio­nal­trainer von hier auf allen vier Seiten, auf drei Seiten sogar durch große Pan­ora­ma­scheiben. Nor­ma­ler­weise sieht er den Hafen für die Fische­rei­flotte und den Fähr­an­leger, die Wohn­häuser für die 4300 Ein­wohner von Ves­t­man­naeyjar, und unüber­sehbar sind natür­lich die beiden Vul­kane Eld­fell und Hel­ga­fell. Doch im Moment ist fast nichts zu erkennen. Mit 30 Metern in der Sekunde rasen Sturm­böen über die Insel und peit­schen Regen­tropfen gegen die Fenster, an denen das Wasser in Strömen her­un­ter­fließt. Wie ein wütendes Raub­tier heult der Sturm und zerrt so an dem Aus­guck­raum, dass man glaubt, die Scheiben könnten im nächsten Moment bersten.

Das ist der bis­lang hef­tigste Sturm des Win­ters“, sagt Hall­grimsson, ohne son­der­lich beein­druckt zu wirken. Offi­ziell herrscht Sturm­war­nung, der Fähr­ver­kehr ist ein­ge­stellt und die letzte Pro­pel­ler­ma­schine hat mor­gens um acht Uhr die Insel ver­lassen. Die Leute sollen jetzt nicht mehr vor die Tür gehen, und wer es den­noch tut, muss auf­passen, nicht ein­fach umge­blasen zu werden. Etwas bedroh­lich ist das schon, aber viel­leicht ist es gerade richtig, den Natio­nal­trainer an einem solch dra­ma­ti­schen Tag zu besu­chen. Denn so ist schnell zu begreifen, was das für ein Ort ist, der den Mann hinter dem islän­di­schen Fuß­ball­wunder geformt hat. Und warum dieses Wunder noch lange nicht am Ende sein soll.

Ein fürch­ter­li­cher Tag

Hei­maey ist selbst für islän­di­sche Ver­hält­nisse ein extremer Ort, und am 23. Januar 1973 geriet er in höchste Gefahr. Damals brach sich eine Kraft Bahn, die noch um ein Viel­fa­ches größer war als der hef­tigste Sturm. Ich weiß noch genau, wie der Berg brannte“, erzählt Hall­grimsson. Nur war kein Feuer aus­ge­bro­chen, son­dern der Vulkan Eld­fell. Fünf Jahre alt war er und musste nachts mit den anderen zum Hafen fliehen. Zum Glück lagen dort alle Fische­rei­boote, so konnten die fünf­tau­send Ein­wohner inner­halb von drei Stunden eva­ku­iert werden. Heimir saß dabei mit seiner Mutter auf einem Fang­netz – ver­mut­lich einem, das sein Vater gemacht hatte. Schon sein Groß­vater knüpfte Netze für die Fischer von Ves­t­man­naeyjar, sein Vater führte das Unter­nehmen weiter und heute seine beiden älteren Brüder. Als ihm auf der Flucht vor dem Vul­kan­aus­bruch ein Stück Asche ins Auge flog, begann Heimir zu weinen. Außerdem stank es nach Fisch, und als sie auf dem Meer waren, wurde nicht nur er see­krank. Alle haben sich über­geben, es war ein fürch­ter­li­cher Tag.“

Pom­peji des Nor­dens

Doch mit diesem fürch­ter­li­chen Tag war die Probe für die Insu­laner noch lange nicht vorbei. Die Lava ver­nich­tete einen Teil ihres Dorfes, die Asche begrub wei­tere Häuser. Heute erin­nert ein Museum am Orts­rand an die Schre­cken, es wirbt mit dem Slogan Pom­peji des Nor­dens“ und wurde über ein Haus gebaut, das aus der Asche von damals aus­ge­graben wurde. Heimir Hall­grimsson möchte es trotz des Sturms zeigen, drinnen weist er auf eine Serie von Fotos hin. Sie zeigen Männer, die unter Lebens­ge­fahr Lava mit Meer­wasser kühlen, um die Ein­fahrt des Hafens zu retten. Zwei Monate nach dem Aus­bruch stoppten sie den Lava­fluss wirk­lich, wei­tere drei Monate später erlosch der Eld­fell, die Familie von Heimir Hall­grimsson kehrte nach einem Jahr zurück auf die Insel, die nun 14 Qua­drat­ki­lo­meter größ war. Rund tau­send Men­schen blieben auf dem Fest­land, sie wollten nicht weiter auf einem Vulkan leben – mitten im stür­mi­schen Nord­meer. Und wie ist es heute, mit dieser Gefahr zu leben? Man ver­sucht ein­fach, nicht daran zu denken“, sagt Hall­grimsson lachend und zugleich ach­sel­zu­ckend.

Der 49-Jäh­rige lacht viel. Er wirkt jun­gen­haft, ist unprä­ten­tiös, und seine kleine Insel liebt er voller Inbrunst. Obwohl die Arbeit als Natio­nal­trainer vor allem in Reykjavik statt­findet, wo er eben­falls eine Woh­nung hat, und obwohl er viele Aus­lands­reisen machen muss, ver­bringt er auf Hei­maey so viel Zeit wie mög­lich. Mal ist er acht Tage im Monat hier, manchmal schafft es Hall­grimsson sogar jede zweite Woche her. Vor allem zahle ich meine Steuern hier“, sagt er.