In wenigen Minuten beginnt die WM-Premiere für Island. Wir haben mit Stürmer Alfred Finnbogason über den Weg der Insulaner, seine Zeit beim FC Augsburg und Lionel Messi gesprochen.
Alfred Finnbogason, bei der EM 2016 sollen acht Prozent der kompletten Bevölkerung von Island vor Ort dabei gewesen sein. Wie viele aus ihrer Familie waren da?
Als wir nach den Spielen zur Fankurve gelaufen sind, habe ich mit den Augen jede Reihe auf der Tribüne langsam abgescannt und bemerkt: Mein Gott, da sind ja wirklich fast alle Leute, die ich kenne! (Lacht.) Meine Freunde und die ganze Familie reisten nach Frankreich, viele auch sehr spontan mit Gabelflügen durch ganz Europa. Dann schrieb mir ein Freund vor dem Viertelfinale: Jetzt sind wirklich alle Flüge ausverkauft! Ich habe immer wieder Fotos und Videos aus der Heimat zugeschickt bekommen und dabei ansatzweise realisiert, was wir da lostraten. Die Leute tanzten und sangen auf den Straßen – so etwas kommt in Island nicht so häufig vor.
War die Mannschaft auch derart euphorisiert?
Es mag komisch klingen, aber wir waren bis zum Achtelfinale nicht großartig überrascht. Wir sind damals mit dem Ziel nach Frankreich geflogen, mindestens die Gruppenphase zu überstehen. Auch wenn das für Außenstehende total unrealistisch klang – in einer Gruppe mit Portugal, Österreich und Ungarn. Wir waren im Turnierverlauf nicht ausgelassen, sondern eher ruhig. Zwischen den Spielen haben wir uns Fahrräder geschnappt und sind in die nächstgelegene Stadt an der Schweizer Grenze geradelt, um Kaffee zu trinken. Wir wurden da weder angesprochen noch erkannt. Das war wie ein Ausflug unter Freunden.
Gibt es diese Freundschaften in der Nationalmannschaft wirklich noch?
Ich kann nur sagen: Fünf Jungs aus der isländischen Nationalmannschaft gehören zu meinen engsten Freunden überhaupt: Gylfi Sigurdsson von Everton, Rurik Gislason von Sandhausen, Johann Gudmundsson von Burnley, der Kapitän Aron Gunnarsson von Cardiff und Sverrir Ingason von FK Rostow. Wir kennen uns noch aus den Jugendmannschaften und schreiben uns täglich in einer eigenen Whatsapp-Gruppe, auch wenn wir in ganz Europa verteilt leben. Wir unternehmen in jeder Sommerpause etwas zusammen, nach der EM 2016 sind wir in den Urlaub in die USA geflogen. Das war sehr lustig: Ich war schon häufiger in den Staaten, eigentlich interessiert sich dort fast niemand für Fußball. Aber damals wurden wir zum ersten Mal um Fotos gebeten, vor allem unser Kapitän. Wahrscheinlich wegen seines langen Barts und weil er beim „Hu“ immer vorne gestanden hat.
Ihr Torwart erzählte, dass er in seiner Jugend in Island noch in Pferdehallen trainieren musste. War das bei Ihnen und Ihren Freunden auch so?
Ja, ich weiß, welche Hallen er meint. Dort musste ich auch ein bis zwei Mal trainieren, als ich ganz klein war. Aber glücklicherweise gehören wir zur ersten Generation, die in den neuen Hallen groß wurde. Der isländische Verband hat sehr viel Geld in den Aufbau von Indoor-Fußball gesteckt, so dass wir auch in unseren langen Wintern optimale Trainingsbedingungen hatten. Früher hatten die Isländer eine besondere Mentalität, aber keine gute Technik. Nun können wir beides miteinander vereinen.
Worin sehen Sie außerdem die Stärken des isländischen Teams?
Wir haben uns eine gewisse Lockerheit bewahrt. Auch vor der WM in Russland fliegen wir nicht in ein Trainingslager, sondern bereiten uns in Reykjavik vor. Es ist immer der gleiche Ablauf: Morgens trainieren wir zusammen, dann essen wir Mittag, und den Nachmittag verbringen wir daheim bei unseren Familien. Das ist ziemlich ungewöhnlich für eine Nationalmannschaft, aber wir brauchen diese Freiheit und diesen Familienbezug. Das hat schon vor der EM wunderbar funktioniert.
Auf dem Platz wirken die Spieler auch sehr gut aufeinander abgestimmt. Island spielt unverdrossen im 4−4−2.
Das ist zunächst einmal ein Vorteil, weil jeder genau seine Rolle kennt. Die Laufwege, die Passwege, die Abstände zueinander hat jeder von uns verinnerlicht. Lars Lagerbäck, der vorherige Trainer, hat dieses System ohne große Umschweife durchgezogen. Wir waren damit einfach zu analysieren, aber schwer zu schlagen. Unser aktueller Trainer Heimir Hallgrimsson hat uns aber in einer seiner ersten Einheiten etwas umgeschult. Wir können nun auch im 4−5−1 agieren und sind etwas flexibler.