Mit einem schmeichelhaften 1:0‑Sieg verhindert der SV Darmstadt 98 auf den letzten Metern den Absturz in Liga drei. Für die Lilien enden damit turbulente Jahre. Oder doch nicht?
Wann ist eine gute Story eigentlich zu Ende erzählt? Wer setzt den letzten Punkt? Und wer übertreibt es mal wieder? Zumindest die Antwort auf die letzte Frage ist dank US-amerikanischer Filmeinflüsse bekannt: Sylvester Stallone. Rocky V. Rocky Balboa. Creed. Und Rambo V soll 2019 kommen. „Er kann es nicht lassen“ statt „They never come back“. Vielen Dank auch.
Der Fußball ist qua Naturgesetz zum Stallonismus verdammt. „Weiter, immer weiter“ statt „Und wenn sie nicht gestorben sind“. Das Märchenbuch ist zugeschlagen, doch gestorben sind sie eben nicht. Also leben sie weiter: in Leiceister, in Huddersfield, in Darmstadt.
Die Darmstädter Tellerwäscherstory
In Südhessen hatte Präsident Klaus Rüdiger Fritsch das Bild vom filmreifen Stoff einst selbst bedient. „Ein nicht so guter Basketballer wird zum Collegespieler aufgebaut, und am Schluss bekommt er das Mädchen, das er liebt, und wirft den entscheidenden Dreier“, beschrieb der Rechtsanwalt einmal seine Gefühlslage. Das war im Mai 2015. Wenige Minuten zuvor hatten sich die Lilien mit 1:0 im Zweitliga-Spitzenspiel beim KSC durchgesetzt. Zwei Wochen später hatte die Darmstädter Tellerwäscherstory nach einem 1:0‑Heimsieg über den FC St. Pauli ihren Höhepunkt erreicht.
Heute, fast genau drei Jahre später, feiern die Lilien den Klassenerhalt in Liga zwei. Es ist der vorläufige Schlusspunkt einer emotionalen Extreme, die seit 2013 anhält. Sportlicher Abstieg in die Regionalliga, Durchmarsch in die Bundesliga, Fast-Absturz in die Drittklassigkeit, dazu die sich hinziehende, für den Verein aber existenzielle Stadionfrage – dem Darmstädter Anhang blieb zuletzt so ziemlich gar nichts erspart.
„Ist ein Klassenerhalt mit zwei blauen Augen ein Grund zum Feiern?“
Die gestern abgeschlossene Zweitliga-Spielzeit war im Prinzip nur ein Schnelldurchlauf dieser turbulenten Jahre. Zwischen dem 16. und dem 32. Spieltag standen die Lilien durchgehend auf einem Abstiegsplatz. Nach vier Niederlagen in Serie fehlten Darmstadt zwischenzeitlich vier Punkte zu Relegationsrang 16. Eine Serie von elf ungeschlagenen Partien in Folge – die sich mit sechs Remis und zwei Siegen allerdings eher unauffällig angebahnt hatte – wertete die Elf von Trainer Dirk Schuster erst zum Ende der Saison entscheidend auf.
Nach den Erfolgen über Union Berlin (3:1), Jahn Regensburg (3:0) und im Abstiegsduell gegen Erzgebirge Aue (1:0) beendete Darmstadt die Runde mit 43 Punkten auf Platz zehn. „Das ringt selbst mir ein Schmunzeln ab“, erklärte Schuster etwas ungläubig. Nach Feiern war dem 50-Jährigen, der Anfang Dezember auf den glücklosen Torsten Frings gefolgt war, jedenfalls nicht zumute: „Ist ein Klassenerhalt mit zwei blauen Augen ein Grund zum Feiern? Wir haben nichts Großes geschaffen, sondern nur unser Minimalziel erreicht.“