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Ich hatte mit­ge­zählt: Es gab genau 1254 Gründe, Cris­tiano Ronaldo nicht zu mögen. Ich habe diese Gründe alle­samt in aus­gie­bigen The­ken­ge­sprä­chen durch­ex­er­ziert, begründet, empi­risch belegt, Gegen­stimmen nicht zuge­lassen, Men­schen, die die Dinge anders sahen, aus­ge­lacht, geschubst oder ste­hen­lassen. Um es kurz zu machen: Ich mochte Cris­tiano Ronaldo noch nie. 

Ich ver­diene es!“

Für meine kul­ti­vierte Ronaldo-Abnei­gung war die EM 2016 lange wie eine ein­zige, vier Wochen wäh­rende Bestä­ti­gung. Ronaldo, der einem Jour­na­listen das Mikro aus der Hand riss und in einen See warf, was natür­lich auch sehr lustig war, in erster Linie aber eine ziem­liche Unver­schämt­heit. Ronaldo, der in den Spielen von seinen viel weniger talen­tierten Mit­spie­lern den Ball for­derte, nicht bekam – sie waren ja weniger talen­tiert – und dann abdrehte, motzte und demons­trativ den Kopf schüt­telte.

Ronaldo, der einen Frei­stoß nach dem anderen in die Mauer setzte, all seinem john­way­ne­schen Anlauf-Brim­bo­rium zum Trotz, 40 ver­schos­sene EM-Frei­stöße seit 2004 seien es mitt­ler­weile, sagte ein TV-Kom­men­tator, und ich über­nahm diese Sta­tistik gern für anste­hende The­ken­ge­spräche als Grund Nummer 1253. Als sich sein Team ins Finale gemo­gelt hatte, mit einem Trainer, der nicht nur aussah wie eine por­tu­gie­si­sche Ver­sion von Otto Reh­hagel, son­dern auch genau so spielen ließ, sagte Ronaldo am Tag danach unbe­scheiden: Ich ver­diene es!“. Grund Nummer 1254, dachte ich, igno­rierte seinen Zusatz alle Spieler ver­dienen es, Por­tugal ver­dient es, die Fans ver­dienen es“ und zückte meinen Notiz­block. 

Ich glaube, ich bekomme einen Herz­in­farkt“

Dann aber kam das Finale. Wäh­rend ich den umste­henden Zuschauern gerade Grund Nummer 972 erläu­terte – Ronaldos däm­li­ches Sss­siuu“ bei der Welt­fuß­baller-Wahl – und dafür eher gelang­weilte Blicke ern­tete, rammte Dimitri Payet Ronaldo mit voller Wucht das Knie in die Beine. Payet war bis dahin einer meiner EM-Lieb­linge gewesen. Ein ange­nehm zurück­hal­tender Spieler, der sich von der kleinen Insel La Reunion bis ins fran­zö­si­sche Natio­nal­team gespielt hatte, um dem gebeu­telten Land den Titel zu schenken.

Einem leisen Anflug von Scha­den­freude folgte als­bald ein mir bis dato gänz­lich unbe­kanntes Gefühl. Ein Unwohl­sein, eine Art Ste­chen oder Enge in der Brust, das ich emp­fand, als ich das Foul in Zeit­lupe und anschlie­ßend Cris­tiano Ronaldo am Boden sah, wie er mit den Tränen kämpfte und den Kopf schüt­telte. Ich glaube, ich bekomme einen Herz­in­farkt“, sagte ich zu meinen Kol­legen, als mir schlag­artig bewusst wurde: Ich hatte Mit­leid. 

Diese Arsch­geigen. Ab jetzt bin ich für Por­tugal.“

Ronaldo wurde draußen behan­delt, kam wieder rein, das unge­wohnte Gefühl wich der Erleich­te­rung über dessen Ver­schwinden, und doch ertappte ich mich dabei, wie ich im Fort­lauf des Spiels immer mehr auf Ronaldo ach­tete. Er hum­pelte, dieser ver­dammte Payet“, dachte ich, denn würde Ronaldo aus­ge­wech­selt werden müssen, hätten die Fran­zosen leichtes Spiel und sich ihrer­seits den Titel ergau­nert, mit einem vor­sätz­li­chen, schä­bigen Foul. Diese Arsch­geigen“, schrieb mir ein Freund, ab jetzt bin ich für Por­tugal.“ Und wäh­rend ich noch über­legte, ob ich meinem Kumpel mit Grund Nummer 527 ant­worten sollte – dass Ronaldo Messi angeb­lich Mother­fu­cker“ zu nennen pflege – , setzte sich Cris­tiano Ronaldo mitten im Spiel auf den Boden, warf seine Kapi­täns­binde weg und begann zu weinen.