Wolfgang Großmann war in der DDR eingesperrt und wurde auch wegen Borussia Mönchengladbach zum Rebell. Zum Tag der deutschen Einheit: Eine Geschichte über Liebe, Treue und Grenzerfahrungen.
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Was ist Freiheit? Und wie definiert man sie? Und was soll Wolfgang Großmann jetzt bloß auf diese Frage antworten?
Großmann, 59 Jahre alt, „nenn mich Wolle“, sitzt in seinem Wohnzimmer und denkt nach. Hinter ihm, auf Regalen an der Wand, sind Indianerdevotionalien drapiert. Federschmuck, Ketten, viel Leder, alles selbst angefertigt, nicht nur billiger Kitsch. Man stellt sich Wolle in kompletter Montur vor, wie er, Pfeife rauchend, Federn auf seinem kurzen grauen Haar, am Lagerfeuer sitzt und im breiten Sächsisch von Freiheit erzählt. Von seiner zweiten großen Leidenschaft, den Indianern, vom Wilden Westen.
Stattdessen entzündet Wolle noch eine stinknormale Filterzigarette, zieht das schwarze T‑Shirt mit dem „Borussia“-Aufdruck glatt und nestelt an seiner silbernen Kette. Draußen rauscht der Verkehr vorbei, die Wohnung befindet sich in einem Industriegebiet in Mönchengladbach. Einen besseren Ort kann es für diese Geschichte nicht geben. Dann erzählt er tatsächlich von Freiheit und Liebe. Von seiner ersten großen Leidenschaft. Und vom Wilden Osten.
Der Wunsch nach Freiheit
1958, ein Jahr nach Wolles Geburt, zieht Familie Großmann von Mönchengladbach ins Dresdener Umland, die Heimat seines Vaters. Die Bedingungen, sich dort ein eigenes Haus zu bauen, sind besser. Die DDR-Behörden versprechen Großmanns Mutter, den Staat jederzeit verlassen zu können, um Freunde und Verwandte im Westen zu besuchen. Die Zusage entpuppt sich als infarme Lüge.
Selbst als 1973 ihr Bruder stirbt, darf sie nicht in das Land, das doch eigentlich ihre Heimat ist. „Meine Mutter“, sagt Großmann, „ist daran kaputtgegangen. Ihr Hass auf die Kommunisten hat sich auf mich übertragen.“ Und mit dem Hass der Wunsch nach Freiheit. Freiheit hat für den jungen Wolfgang einen Namen: Borussia Mönchengladbach.
Sehnsuchtsort Gladbach
Die Mannschaft aus der Stadt seiner Mutter spielt nicht nur aufregenden Fußball und bringt Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger irre Typen wie den langmähnigen Günter Netzer hervor, sie ist auch Symbol für alles, was Wolle verwehrt bleibt. Die Borussia, und mit ihr die junge Bundesliga, wird für ihn Sehnsuchtsort und Katalysator des Frusts zugleich.
Wie kann es sein, dass Mama nicht nach Hause darf? Wie kann es sein, dass es verboten ist, meinen Lieblingsverein zu mögen? In was für einem kranken Land lebe ich eigentlich? Immerhin genießt Wolle den Luxus, dass die Westverwandtschaft regelmäßig zu Besuch kommt und wertvolle Geschenke mitbringt. Ein Cousin, der bei einem Treffen die selbst gezeichneten Borussia-Wappen des Dresdener Familienmitglieds bewundert, schenkt ihm zum elften Geburtstag ein Trikot der Fohlenelf.