Noch immer steht nicht fest, wer in Spanien in der nächsten Saison in welcher Liga spielt. Schuld am Chaos ist das Coronavirus. Aber auch der FC Watford und Luis Suárez.
Sommerpause. Zumindest in Deutschland. Denn während die Bundesliga bereits relativ entspannt darüber beraten kann, ob, wann und wie eventuell wieder vor Zuschauern gespielt wird, steht man in Spanien vor völlig anderen Problemen: Im traditionellen Urlaubsmonat August, wenn hitzebedingt die meisten Räder still stehen und viele Mühlen maximal langsam mahlen, steht noch nicht einmal fest, wer überhaupt in der kommenden Saison in welcher der ersten beiden Ligen antritt. Der Beginn der Playoffs um den Aufstieg in die Primera División schwebt in der Luft. Und die neue Spielrunde soll bereits Mitte September starten. Schuld am Chaos: Das Coronavirus. Oder vielleicht doch eher der Umgang mit selbigem vonseiten der Liga beziehungsweise ihrem erratisch auftretenden Chef Javier Tebas?
Fakt ist: Kurz vor dem allerletzten Spieltag der Segunda División am 20. Juli schockte das Überraschungsteam CF Fuenlabrada die gesamte Liga mit sieben Corona-Fällen in der Mannschaft. Dem Aufsteiger aus der Madrider Peripherie hätte ein Unentschieden für die Teilnahme an den Playoffs zur Primera División gereicht. Für den Gegner sah es dagegen wesentlich düsterer aus. Deportivo La Coruña benötigte dringend drei Punkte und Ausrutscher anderer Teams, um die Klasse zu halten. LaLiga entschied, nicht den gesamten Spieltag, sondern lediglich die Partie La Coruña gegen Fuenlabrada zu verschieben. Nach Abpfiff aller anderen Spiele stand fest: Depor kann sich auch mit einem Sieg nicht mehr retten. Fuenla benötigt logischerweise weiterhin einen Punkt.
Und wie es nun mal so ist, wenn es außer um sportlichen Erfolg und Misserfolg auch um verdammt viel Geld geht, fühlten sich in den zwei Wochen danach plötzlich alle benachteiligt. Die Reihe der Klubs, die ihre Anliegen in der LaLiga-Zentrale vortragen wollten, wurde plötzlich so lang, dass Javier Tebas wahrscheinlich kurz davor war, ein Schild aufzustellen: Bitte Nummer ziehen!
Depor will nicht absteigen und eine Segunda División mit 24 Teams. Oder zur Not wenigstens den gesamten letzten Spieltag annullieren und neu spielen. Fuenla will gegen Depor spielen, wenn alle wieder fit sind, und den nötigen Punkt für die Playoffs holen. Elche würde in dem Falle aus den Playoffs rutschen und sich das natürlich nicht gefallen lassen. Das wegen der Corona-Fälle abgesagte Spiel muss für Depor gewertet werden, ist doch keine Frage. Racing Santander und Extremadura, beide vor dem letzten Spieltag schon abgestiegen, wollen natürlich auch ein Wörtchen mitreden: Entweder alle bleiben drin und nächste Saison treten 26 Teams in der zweiten Liga an, oder es gibt eben vier Absteiger wie immer. Angesichts der drohenden Mega-Liga mit 24 oder 26 Teams schrien alle Teams auf, deren Verbleib in der Segunda División feststeht: Hat eigentlich mal einer durchgerechnet, wie viel weniger Fernsehkohle jeder einzelne einsteckt, wenn der Kuchen auf zwei oder vier Vereine mehr verteilt werden muss?!
Und dann ist da noch der FC Watford. Man lehnt sich nicht besonders weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass es dem Absteiger aus der Premier League ziemlich Latte ist, wer in Spanien in welcher Liga spielt. Der FC Watford will einfach nur Luis Suárez. Nein, nicht den Uruguayer aus Barcelona. Den Kolumbianer aus Saragossa. Der heißt genauso und schießt auch viele Tore, eben nur eine Liga tiefer. 19 Mal hat er diese Saison eingenetzt, das macht Platz 2 in der Torschützenliste. Luis Suárez ist vom FC Watford an Real Saragossa ausgeliehen. Der Leihvertrag endete eigentlich am 30.6.2020, wurde aber wegen der Corona-Krise bis Anfang August verlängert. Warum ausgerechnet bis Anfang August? Weil dann spätestens die Aufstiegs-Playoffs abgeschlossen sein sollten, für die sich Real Saragossa als Tabellendritter der zweiten Liga qualifiziert hat.
Dass Exkremente im Bereich der unteren Extremitäten nur mit Schwierigkeiten zu entfernen sind, das wusste bereits ein WM-Held von 1990, der einige Jahre nach dem Triumph von Rom selbst die Schuhe für Real Saragossa schnürte. An Andy Brehmes legendären Spruch würde man sich dort sicherlich erinnern, spräche man Deutsch. Seit mittlerweile sieben Jahren versucht der notorisch klamme Verein mit allen Mitteln, in die erste Liga zurückzukehren. Nach diversen enttäuschenden Spielzeiten in der Segunda División sollte es dieses Jahr endlich was werden mit dem Aufstieg. Tief in die Tasche gegriffen wurde dafür und der Kader mit Hochkarätern wie eben Suárez oder dem Ex-Dortmunder Shinja Kagawa verstärkt. Nach der Corona-Pause sah es lange so aus, als würde der direkte Aufstieg gelingen, aber am Ende ging der Mannschaft die Puste aus und es reicht nur für die Playoffs. Dort sollte natürlich der Top-Goalgetter Suárez stechen und für den langersehnten Aufstieg sorgen. Stand jetzt weiß aber niemand, wann die Playoffs starten können. So viel Unsicherheit war dann auch dem FC Watford zu viel. Die Leihvereinbarung wurde kein weiteres Mal verlängert. Suárez muss nach England und verpasst die Playoffs.
Wie groß der (finanzielle) Druck sein muss, der auf Real Saragossa lastet, das lässt die Reaktion des Vereins auf die Causa Suárez durchschimmern. Um den ohnehin bereits verzerrten Wettbewerb durch die Abwesenheit des Kolumbianers in den Playoffs und die damit verbundene Benachteiligung des Klubs nicht noch weiter zu verzerren, so ließ man per schriftlicher Stellungnahme verlauten, gäbe es ganz offensichtlich nur drei Möglichkeiten: Entweder alle vier Teams, die sich für die Playoffs qualifiziert haben, steigen zusammen mit den zwei direkten Aufsteigern auf. Hieße: Sechs Aufsteiger in die Primera División. Oder aber, Real Saragossa steigt als Dritter ebenfalls direkt auf, man bläst die Playoffs ab und die anderen drei eigentlichen Playoff-Teilnehmer bleiben in der zweiten Liga. Zur Not, und das wäre die dritte Variante, würde man alle Playoff-Spiele mit 0:0 werten müssen, wodurch dann auch Real Saragossa als Drittplatzierter der regulären Saison aufgestiegen wäre.
Und während Christian Seifert des Nachts zufrieden von vollen Zuschauerrängen träumt, schreckt Javier Tebas schweißgebadet auf und beginnt ein Schild zu malen: Bitte Nummer ziehen…