Jahrelang hat Harald Naraschewski für den SV Wilhelmshaven gegen die Fifa gestritten. Nun hat er Recht bekommen, der Zwangsabstieg wurde aufgehoben. Doch worum ging es bei dem Prozess eigentlich?
In Harald Naraschewskis Kanzlei hat alles seine Ordnung. Es scheint, als müssten sich hier selbst Staubkörner einen Termin geben lassen. Im Vorzimmer glänzen Glastisch und Fensterscheiben um die Wette, die Zeitschriftenauslage ist mit dem Geo-Dreieck drapiert. Im Büro des Rechtsanwalts wird es dann schon unübersichtlicher: Aktenordner stapeln sich auf Boden und Schränken, touchieren die Bilderrahmen an der Wand. Dort hängen Abbildungen preußischer Kriegsschiffe und Marineabzeichen, Reliquien eines Lebens zwischen weiter Welt und starren Regeln. Auch auf dem Schreibtisch liegt ein Berg aus Schnellheftern, leuchtend rot wie der Leuchtturm von Arngast, da draußen am Jadebusen. Naraschewski sitzt in seinem Bürostuhl und rudert durch das Meer aus Papieren. Die Uhr tickt. Es ist fünf vor zwölf. So wie es eigentlich immer fünf vor zwölf ist beim SV Wilhelmshaven.
Naraschewski ist Justitiar und Aufsichtsrat des Regionalligisten, der jüngst von der FIFA zum Zwangsabstieg verdonnert wurde und nun rechtlich dagegen ankämpft. Ein juristischer Stellungskrieg, der am Ende die Rechtmäßigkeit des DFB und der FIFA in Frage stellt. Und der deutschen Nationalmannschaft die Teilnahme an zukünftigen Weltmeisterschaften kosten kann.
Er schiebt einen Stapel Papiere zur Seite, zieht einen Ordner zu sich, liest, blättert, murmelt, ruft schließlich „Hier ist es!“ und fingert ein Fax aus dem Heftstreifen. Ganz oben steht: „Zürich, 3. August 2007“. Daneben: „FIFA. For the game. For the world.“ Es folgt eine freundliche Aufforderung zur Zahlung von Ausbildungskosten in Höhe von 157.500 Euro. Oben in der Ecke wurde handschriftlich vermerkt: „Dringend. Bitte um sofortige Stellungnahme.“ Naraschewski schiebt seine Brille hoch, Modell „Helmut Kohl“. „Damit fing der ganze Mist an.“ .
Genau genommen fing der ganze Mist bereits im Januar 2007 an, als der Italo-Argentinier Sergio Sagarzazu beim abstiegsbedrohten SV Wilhelmshaven seinen ersten Profivertrag unterschrieb. Der 19-Jährige wechselte ablösefrei von River Plate an die Nordseeküste. „Ein netter Kerl, der sich in Europa mal frischen Wind um die Nase wehen lassen und niemandem auf der Tasche liegen wollte“, so Naraschewski.
Knapp 630 Minuten im Trikot des SVW
Sportlich erwies sich der Mittelfeldmann nicht unbedingt als Gewinn, stand nur knapp 630 Minuten für den SVW auf dem Platz, ehe er im Sommer 2008 wieder zurück in seine Heimat wechselte. Eine Personalie, an die sich bald nur noch hartgesottene Vereinschronisten erinnert hätten. Doch dann reichten die argentinischen Klubs Atletico Excursionistas und River Plate, bei denen Sagarzazu in der Jugend gespielt hatte, die Forderung über eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 157 500 Euro bei der FIFA ein. Berechnet nach den Statuten des Weltverbandes und damit nach dessen Selbstverständnis rechtens. Aus purer Dankbarkeit für den Schriftverkehr zwischen den Parteien zündet irgendwo auf dieser Welt ein Holzhändler jeden Abend eine Kerze an. Sieben Jahre Briefe und Faxe. Allein in Naraschewskis Schränken lagern an die zwanzig Ordner.
Die FIFA hat die Höhe der Ausbildungsentschädigungen pauschaliert. Unterschreibt ein Spieler seinen ersten Profivertrag etwa bei einem Bundesligisten, muss dieser 90 000 Euro pro Ausbildungsjahr an die ausbildenden Klubs bezahlen. Als Regionalligist wurden Wilhelmshaven immerhin 30.000 Euro pro Jahr angerechnet. Der Klub hält diese Regelung für nichtig und beruft sich dabei auf Urteile des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts, die Ausbildungsentschädigungen für Fußballer als sittenwidrig bezeichnen. Ergänzend entschied der Europäische Gerichtshof im Jahr 2010, derartige Ausbildungsentschädigungen seien nur dann rechtmäßig, wenn diese nicht pauschal berechnet werden, sondern sich an den tatsächlich entstehenden Ausbildungskosten des abgebenden Vereins orientieren.
„Unwissenheit schützt nicht vor Strafe“, sagt der DFB.
Eine Aufforderung nach Argentinien, realistische Kosten aufzurufen, blieb unerwidert. Also ließ Wilhelmshaven seinerseits die Kosten für die eigene Jugendausbildung berechnen und kam auf 1500 Euro pro Jahr. Man bot den argentinischen Klubs als Vergleich knapp 8000 Euro Entschädigung an. Die lehnten brüskiert ab. Auch ein späteres Angebot über 60.000 Euro wurde nicht akzeptiert. Offenbar sind die horrenden FIFA-Ausbildungsentschädigungen dort ein willkommener Beitrag zum Finanzierungskonzept der Vereine.
Nach der Rechtsauffassung Naraschewskis widersprechen die Berechnungspauschalen der FIFA dem Grundrecht der Berufsfreiheit, weil sie für junge Spieler Zugangshürden auf den Arbeitsmarkt darstellen. „Hätten wir gewusst, welche Kosten auf uns zukommen, hätten wir diesen Spieler nie verpflichtet“, sagt er. „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe“, heißt es vom DFB.