In Dortmund lachte sich Thomas Doll einst so sehr den Arsch ab, dass ihn kein Bundesligaklub mehr wollte. Mit Ferencvaros Budapest hat er nun vorzeitig die Meisterschaft gewonnen.
Seit 2013 trainiert Thomas Doll den ungarischen Traditionsklub Ferencvaros Budapest. 2015 gewann das Team mit ihm den Pokal, nun wurde es vorzeitig Meister. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren. Wir trafen Doll im Oktober 2015. Er machte einen gelösten und entspannten Eindruck, nur manchmal denkt er noch an die Zeit in Hamburg oder Dortmund – und an die legendäre Pressekonferenz aus dem Frühjahr 2008. Hier lest ihr die Reportage aus 11FREUNDE #168.
Thomas Doll formt mit seinen Händen einen großen Kreis. „So einen Hals hab ich“, sagt er, und die Dame aus dem Marketing verzieht die Mundwinkel zu einem Verlegenheitslächeln und stammelt: „Sorrysorry!“
Doll sitzt in einer Loge der Groupama Arena, dem Stadion von Ferencvaros Budapest. Hier soll gleich ein Spiel mit ein paar VIPs stattfinden, und Doll ist der Überraschungsgast, er hat versprochen, den Schiedsrichter zu geben. Auch ein paar seiner Profis werden auflaufen. Allerdings, so hat die Dame aus dem Marketing eben erklärt, verzögere sich der Anpfiff etwas, denn die VIPs seien noch nicht da. Unmöglich findet Doll das, so ein Spiel, so eine Organisation, und alles zwei Tage vor dem wichtigen Derby gegen Honved. In der Bundesliga würde es so etwas nicht geben. Also lächelt die Dame noch verlegener, „sorrysorry“, und Doll versucht, ein bisschen böse zu gucken – es misslingt ihm.
Der schlafende Riese Ferencvaros
Aber was soll’s. Er lehnt sich zurück und erzählt ihr und den Spielern Geschichten aus der DDR, am Samstag ist Tag der Deutschen Einheit. Nach einer halben Stunde geht er runter und läuft durch Kunstnebelschwaden und unter dem Applaus der VIPs aufs Feld. In den Sonnenstrahlen, die durch die Tribünen auf Dolls Lockenkopf fallen, wirkt er für einen kurzen Moment genau so, wie sie ihn hier sehen: wie ein Erlöser. Einer, der den schlafenden Riesen Ferencvaros, 28 Mal Meister, 21 Mal Pokalsieger, zum Leben erweckt hat.
Vor beinahe zwei Jahren, im Dezember 2013, fing das an. Seitdem eilt der 49-jährige Doll mit seiner Mannschaft von einem Erfolg zum nächsten. Schon wenige Wochen nachdem er den Job übernommen hatte, legte das Team eine Serie von neun Siegen in Folge hin und erreichte noch einen Europa-League-Qualifikations-Platz. Vergangene Saison wurde Ferencvaros Vizemeister und holte mit dem Pokalsieg den ersten Titel seit elf Jahren.
Nun, vor der Partie gegen Honved, führt Ferencvaros ungeschlagen die Tabelle an. Die Bilanz nach zehn Spielen: neun Siege und ein Unentschieden. Die letzte Niederlage in der Liga datiert auf den 4. Oktober 2014. Eine ungarische Zeitung schrieb deshalb, Doll solle bald Nationaltrainer werden, und die „Bild“ erklärte: „Ungarn hat wieder einen König.“
„Na, mein Schnurri!“
Am Tag nach dem VIP-Spiel wuselt Thomas Doll durch den Speisesaal des Vereinsheims. Der Hals ist kleiner, hier hat er alles im Griff. Grüßt seine Spieler Tamas Hajnal und Stanislav Sestak („Jungs!“). Legt Co-Trainer Ralf „Katze“ Zumdick die Hand auf die Schulter („Na, mein Schnurri!“). Klatscht mit den Nachwuchstrainern Theo Schneider und Krisztian Lisztes ab („Ihr Legenden!“). Ein Vereinsveteran nickt ihm zu und hebt den Daumen.
Doll strahlt mit den Augen, dem Mund, dem ganzen Körper. Am Buffet löffelt er sich Reis auf den Teller, während er mit der anderen Hand das Mikrofonkabel seines Handys justiert. Zur Vorbereitung auf die Partie gegen Honved ließ er seine Spieler beim letzten Training in Airbag-artige Gummiballons steigen, und damit liefen sie dann über das Feld und schubsten sich gegenseitig zu Boden. Bubble Ball nennt sich das Spiel. Teambuilding nennt Doll das.