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In unre­gel­mä­ßigen Abständen spre­chen wir hier mit Profis über Themen außer­halb des Fuß­balls, Teil 1: Roman Neu­städter übers Reisen. Seht in unserer aktu­ellen Aus­gabe, wie er sich für das Bild Bei der Geburt getrennt“ revan­chiert.

Roman Neu­städter, wir möchten nun mit Ihnen übers Reisen spre­chen. Woher rührt dieses Hobby?
Früher hatte ich nie große Lust aufs Reisen und wollte mich in der Som­mer­pause nur irgendwo am Strand aus­ruhen. Doch meine Frau hat mich mit ihrem Fernweh ange­steckt. Im letzten Jahr sind wir dann kreuz und quer durch Mittel- und Süd­ame­rika gereist, durch Chile, Argen­ti­nien und Mexiko. Wir sind durch Pata­go­nien gewan­dert und waren auf einem Eis­glet­scher. Das war sehr span­nend.
 
Planen Sie Ihre Aus­flüge selbst?
Teils, teils. Manchmal halten wir uns an Agen­turen, die diese Touren anbieten, manchmal rufen wir Bekannte an, die vor Ort wohnen. In diesem Sommer habe ich Kon­takt zu Manuel Fried­rich (Ex-Profi unter anderem bei Mainz, Lever­kusen und Dort­mund, die Red.) auf­ge­nommen, der in einer Cha­rity-Orga­ni­sa­tion in Indien aktiv war. Sie betreut Stra­ßen­kinder und wir wollten sie besu­chen. Manuel hat gesagt: Super, dass du das machen willst. Aber stell dich darauf ein, dass es krass werden kann.“
 
Wo genau waren Sie?
In Dha­ravi, einem Slum in Mumbai. Jeder hat natür­lich seine Vor­be­halte, wenn er dieses Wort hört. Doch die Leute vor Ort haben uns erklärt, dass in diesem Slum auch Ärzte und Anwälte wohnen. Das ist wie eine eigene Gesell­schaft für sich, mit eigenen Märkten und eigener Wirt­schaft, bei­spiels­weise einer Leder­pro­duk­tion.
 
Was haben Sie dort gemacht?
Die Agentur Anstren­gung United“ enga­giert sich für die Kinder in diesem Slum und orga­ni­siert ver­schie­dene Kurse. Als wir da waren, kam bei­spiels­weise ein Tattoo-Artist vorbei und hat den Kin­dern Scha­blonen zum Abpausen gegeben. Wir haben mit ihnen gezeichnet, gespielt, ein­fach Zeit ver­bracht. Abends wollten wir sie dann nach Hause bringen. Aber das ging nicht.



Wieso nicht?
Wir liefen eine Vier­tel­stunde, bis uns ein Mit­ar­beiter der Agentur sagte: Hier nicht weiter, die Kinder werden abge­holt.“ Da habe ich gefragt, wo die Kinder denn wohnen. Die Ant­wort war: Auf der Straße.“ Die Men­schen leben teil­weise nur unter einem gespannten Tuch. Manche liegen auf dem Weg, wäh­rend andere über sie drüber laufen. Ein Junge sagte mir, dass sein Bruder auch nor­ma­ler­weise mit­komme, aber leider arbeiten muss. Der saß dann in Unter­hose am Stra­ßen­rand und hat Bam­bus­körbe geflochten. Er war viel­leicht sechs Jahre alt.
 
Wie sind die Men­schen dort mit­ein­ander umge­gangen?
Sie achten auf­ein­ander, auch wenn sie auf engstem Raum leben. Aber es ist natür­lich eine andere Welt. Bei meinem Besuch habe ich schon alles zu schätzen gelernt, was man in Deutsch­land als selbst­ver­ständ­lich erachtet: das Essen, eine eigene Unter­kunft, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung.
 
Wie waren Ihre Erfah­rungen mit dem Essen in Indien?
Wir sind natür­lich auch über die Märkte gelaufen. Dort haben die Ver­käufer Tiere getötet, sie auf der Straße aus­bluten lassen und dann auf den Grill geworfen. Auf dem Markt ziehen sie ihnen vor deinen Augen die Haut ab und trennen den Kopf ab. Das ist schon etwas gewöh­nungs­be­dürftig. (lacht.) Doch ich habe natür­lich auch etwas gegessen, das meiste ist frit­tiert, mit 40 Pro­dukten in einem, schon sehr ori­gi­nell und auch lecker.
 
Viele Mumbai-Besu­cher erzählen, dass das Bahn­fahren ein Aben­teuer sein soll.
Da ist was dran. Die Bahn steht noch nicht, da springen die ersten raus und die anderen rein. An einem Bahnhof kommen um zwölf Uhr die gesamten Essens­ra­tionen für die Bänker an. Die Arbeiter trans­por­tieren diese Kisten auf dem Kopf, ich möchte nicht wissen, wie viele Kilo das waren. Auch die Fahrten im Bus und Taxi sind nicht ohne. Die Fahrer sind so gerast, dass ich unzäh­lige Male aus Angst mit­ge­bremst habe.



Hatten Sie Pro­bleme wäh­rend Ihres Auf­ent­halts?
Es gab nur eine komi­sche Situa­tion, als wir am Bus auf einen wei­teren Mit­fahrer gewartet haben. Man wird als Euro­päer natür­lich direkt erkannt. Eine ältere Frau mit einem Klein­kind auf dem Arm kam zu mir und bat mich um Geld. Ich wollte ihr etwas geben, stand mit dem Rücken zu ihr und durch­suchte meine Taschen. In diesem Moment sagte ein Mit­ar­beiter der Agentur: Bitte, bitte, nichts geben, so schwer es auch fällt.“ Als ich mich umdrehte, standen dort auch direkt 20 Leute und hielten die Hand auf. Wenn ich der Frau etwas gegeben hätte, den anderen aber nicht, wäre die Situa­tion eska­liert. Man denkt natür­lich, dass man etwas Gutes tut, löst aber viel­leicht etwas Schlechtes damit aus.
 
Wie langen blieben Sie in Indien?
Wir waren fünf Tage in Mumbai. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Wer weiß, ob man so etwas noch mal wie­der­holen kann. Schon bei unserer Ankunft waren wir so mit­ge­nommen von den Erleb­nissen, dass wir den halben Tag geschlafen haben. All diese Ein­drücke, die Farben, die Gerüche – das ist so viel und so intensiv, dass man müde wird.
 
Nach Ihrem Besuch in Mumbai flogen Sie nach Tokio. Wie kam es dazu?
Uschi (Neu­städ­ters Mit­spieler Atsuto Uchida, die Red.) hat immer wieder gesagt: Komm mich besu­chen. Tokio, das ist die geilste Stadt.“ In den zwei Tagen kurz vor seiner Ope­ra­tion hat er uns dann tat­säch­lich durch die kom­plette Stadt geführt. In den rest­li­chen Tagen sind wir mit einem Freund von mir los­ge­zogen, der dort bei einem Sport­ar­ti­kel­her­steller arbeitet.
 
Uchida hat sich in Japan ope­rieren lassen. Der Verein war über­rascht, wussten Sie etwas davon?
Ich habe von seinem Plan nur in der Zei­tung gelesen. Er hat mir in Japan davon berichtet, aber wir haben das nicht ver­tieft.
 
Er ist in Japan ein Star, der auch auf dem Cover von Mode­ma­ga­zinen zu sehen ist. Kann er sich in Tokio frei bewegen?
Nein, gar nicht. Er trug zwar eine Son­nen­brille, aber alle zwei Meter haben sich die Men­schen mit offenem Mund umge­dreht und geflüs­tert: Uchida, Uchida!“ Er hat mich dann gefragt, ob wir die Metro nehmen sollen. Klar, warum nicht?“, habe ich gesagt. Für mich ist die Metro im Aus­land sowieso immer eines der besten und schnellsten Fort­be­we­gungs­mittel. Aber Uschi ist noch nie mit ihr gefahren. Als wir ein­ge­stiegen sind, gab es auch sofort eine helle Auf­re­gung um ihn. Alle Pas­sa­giere im Abteil haben sich nervös umge­dreht, weil sie dachten, das wäre so etwas wie die Ver­steckte Kamera“. Es war wirk­lich extrem.