Messi und Ronaldo: Seit Jahren brechen diese Supermenschen alle Rekorde. Was nach ihnen kommen wird, kann nur schlechter sein. Ist die Zukunft des Fußballs schon vorbei?
Die Geschichte des Sports zeigt, dass ein sehr guter Athlet einen ebenbürtigen Konkurrenten braucht, um über sich hinauszuwachsen. Einen, der ihn reizt, das auszuprobieren und letztlich auch zu schaffen, was außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen schien. Treffen diese beiden Rivalen unter günstigen Bedingungen zusammen, kann es zu einem Quantensprung in ihrer Sportart kommen, einer schubartigen Weiterentwicklung innerhalb kurzer Zeit. Alles, was zuvor war, wirkt dann wie eine Probe, ein Testlauf täppischer Kameradoubles für die beiden Athleten und ihre Sternstunde. Und ihre Nachfolger werden es schwer haben, als etwas anderes zu gelten als eine ziemlich laue Zugabe, bei der die Zuschauer das Theater bereits verlassen.
Tokio, 30. August 1991. Im Weitsprung-Finale der Leichtathletik-Weltmeisterschaft treten Mike Powell und Carl Lewis an – und treiben einander in einem jener nie dagewesenen Wettkämpfe in ungeahnte Dimensionen. Für alle, die live dabei waren, wird es eine sportliche Epiphanie sein – und zugleich ein zukünftiger Quell der Enttäuschung: Nichts in dieser Sportart wird je wieder so fabelhaft und zugleich ungeheuerlich sein wie an diesem einen Tag.
„Was war DAS? Ein Sprung auf NEUN Meter?“
Das Flutlicht leuchtet schon, als Carl Lewis, der amtierende Olympiasieger, gleich im ersten Versuch einen sagenhaften Satz von 8,68 Metern macht. Im zweiten bricht er mit 8,83 Metern beinah den 23 Jahre alten Weltrekord von Bob Beamon, im dritten springt er sogar 8,91 Meter, jedoch mit zu starkem Rückenwind. Dann kommt Powell. Als hätte er sein Leben lang für diesen einen Sprung Anlauf genommen: Er sprintet wie eine Gazelle, in der Luft scheint er einfach weiter zu rennen, er schreit kurz auf wie unter Schmerzen, verursacht durch den extremen Sprung gegen die Gesetze der Physik, er fliegt – und landet schließlich fast außerhalb der Grube auf dem Tartan. „Was war DAS?“, fragt ZDF-Kommentator Bernd Heller entgeistert. „Ein Sprung auf NEUN Meter?“ Als die Weite endlose Sekunden später auf der Anzeigetafel erscheint, reißt Powell die Arme hoch und rennt und rennt und rennt, wie von Sinnen, eine ganze Runde unter dem frenetischen Jubel der Zehntausenden im Tokioter Olympiastadion, die es selbst kaum fassen können: 8,95 Meter, steht da. So weit, wie kein Mensch zuvor gesprungen ist.
Carl Lewis schafft es noch zwei Mal bis jenseits 8,80-Meter-Marke, die beste Serie in der Geschichte dieser Disziplin, und doch bleibt ihm nur die Silbermedaille – und das ehrenvolle Verdienst eines unterlegenen Rivalen in diesem Jahrhundertwettkampf. Der Sieger heißt Mike Powell. Sein Weltrekord hat bis heute, 24 Jahre später, Bestand.
Das Weitsprung-Finale von Tokio dauerte gerade einmal drei Stunden. Der Wettstreit zwischen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo dauert nun schon mindestens sechs Jahre. Er begann spätestens 2009, mit dem Champions-League-Finale zwischen dem FC Barcelona und Manchester United und dem anschließenden Wechsel des Portugiesen zu Real Madrid, Barcas Erzfeind. Wie lang die Bestmarken, die die beiden Ausnahmefußballer in ihrem nach oben offenen Duell um die Krone des Fußballs aufgestellt haben, Bestand haben werden, sollte man also besser nicht hochrechnen, wenn man das große Buch der Rekorde nicht ein für alle Mal schließen möchte. Und doch ist es sehr wahrscheinlich, dass eine regelmäßige Saisonbilanz von mehr als 50 Toren etwas ist, wovon man seinen ungläubigen Enkeln raunend erzählen wird – und nichts, was man vernünftigerweise von einem Fußballer erwarten sollte, der nach Messi und Ronaldo kommt.
Toreschießen, das ist für sie wie Atmen
Ein Auszug aus ihren schier uneinholbaren Rekorden: Messi hat 32 Hattricks in der Primera Divison erzielt, vier sind es in der Champions League. Allein im Kalenderjahr 2012 gelangen ihm 91 Tore, davon fünf im Spiel gegen Bayer Leverkusen im Jahr 2012. Er ist momentan der alleinige Rekordschütze der Königsklasse mit 77 Treffern, natürlich gefolgt von Ronaldo mit nur einem Tor weniger. Der Portugiese ist seit dem 18. Oktober außerdem der erste Spieler, der in diesem Wettbewerb in zehn Auswärtsspielen in Folge ein Tor geschossen hat. Das Toreschießen ist für diese beiden Athleten offenbar so etwas geworden wie eine Funktion des vegetativen Nervensystems, die automatisch vor sich geht, dem Atmen gleich. Sie können einfach nicht mehr anders. So haben sie die Sternstunde ausgewalzt zu ganzen Sternjahren, in denen die Schnuppen nur so vom Nachthimmel hageln. Schon kapitulieren selbst die wortgewaltigsten Fußballreporter vor diesem Phänomen wie überforderte Astronomen. Sid Lowe schrieb unlängst im „Guardian“, er habe inzwischen ernste Zweifel, ob die Huldigungen, zu denen er sich gezwungen sehe, noch als journalistische Arbeit durchgingen.