Alte Frage: Kann man gleichzeitig Held und Bösewicht sein? Torhüter Boubacar Barry kümmert sich nicht um großphilosophisches Kleinklein – und feiert sich, seine Mitspieler und sein Land.
Ob er die Augen geschlossen hat, in dem Moment, in dem sein rechter Fuß den Ball berührt? Vor Schmerz, Krämpfen, Anstrengung? Boubacar Barry macht vor dem Elfmeterpunkt vier vorsichtige Trippelschritte, als müsste er erst behutsam testen, ob er die Beine auf die gewohnte Art belasten kann. Er muss zu dem Schluss gekommen sein, dass die beiden noch funktionieren würden, wenigstens dieses eine letzte Mal, erledigt dann drei Schritte mit traditionellem Anlauf, um genug von dem guten Zeug zu generieren, was man als Nichtphysiker gemeinhin als Wumms bezeichnet. Sein rechter Fuß berührt den Ball, sweet spot zwischen Rist und Spann. Stille.
Wenn zu viele Zufälle zusammen kommen, fällt es Menschen oft schwer, hinter den Geschehnissen keine übermenschlichen Mechanismen oder Vorhersehung zu vermuten. Boubacar Barry selber zum Beispiel: „Gott wollte es“, sagt er, die Torwarthandschuhe noch immer an den Händen, außer Atem vom Lachen und Rennen, der Mann hat gerade die Elfenbeinküste zum Afrikameister geschossen, das zweite Mal, dass das Land den Titel gewinnen konnte.
Intensives Pöhlern
Die Geschichte davor ist schnell erzählt.
Boubacar Barry vom KSC Lokeren hat 84 Länderspiele im Tor für die Elfenbeinküste absolviert, war der Stammkeeper im Sommer bei der WM in Brasilien. Vor dem jetzigen Turnier entschied sich Coach Herve Renard aber für den jüngeren Sylvain Gbohouo, der die Elfenbeinküste anschließend auch als sicherer Rückhalt bis ins Finale führte. Und dann? Verletzte dieser sich, und der alte Mann Barry – mit mittlerweile 35 Jahren auf dem Buckel – durfte im Finale gegen Ghana ran.
Dort quälen sich Ghana und die Elfenbeinküste durch 120 Minuten grausamen Fußball, der für Fußball-Ästheten schwer zu ertragen ist. Aber auch Menschen, die von Fußball ohnehin nichts erwarten und lieber Züge fotografieren, einen Blog über Strauchtomaten führen oder sich für nichts anderes interessieren als für zurückhaltende, sophisticated wirkende nordische Designmöbel, selbst sie hätten angewidert die Fernbedienung gesucht. Man musste schon ein ganz großes Herz fürs intensive Pöhlern haben, um am letzten Spiel des Afrika Cups Gefallen zu finden. Keine Überraschung also, dass vor der endgültigen Entscheidung das Elfmeterschießen stehen sollte.