Fünf Jahre lang war Jan Wiese als Stasi-Mitarbeiter für den „rowdyhaften Fußballanhang“ in Berlin zuständig. Jetzt spricht er erstmals darüber.
Jan Wiese (Name von der Redaktion geändert) war von 1984 bis 1989 als hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für die Beobachtung und „Betreuung“ von Fußballhooligans in der DDR zuständig. Seinen richtigen Namen will er nicht veröffentlichen. Hier spricht er erstmals über seine Zeit als Stasi-Mann.
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Hinweis der Redaktion: Wir sind uns der Problematik dieses Themas bewusst, einen ehemaligen Vertreter eines Unrechtsstaates über seine Arbeit zu befragen, haben allerdings versucht, die Gesprächsführung so sachlich wie möglich zu halten, um einen ungefilterten Eindruck der Stasi-Methoden im Umgang mit Fußballfans zu bekommen. Wer mehr über die Auswirkungen dieser Methoden und über mögliche Folgen für die Opfer wissen möchte, dem legen wir diesen Artikel über Bundesliga-Fans hinter dem Eisernen Vorhang ans Herz.
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Jan Wiese, sind Sie Fußballfan?
Kann man so nicht sagen.
Waren Sie es in der DDR?
Ehrlich gesagt, auch nicht.
Trotzdem haben Sie sich jahrelang hauptberuflich mit dem DDR-Fußball beschäftigt, besser gesagt mit den Fans. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich bin während meiner dreijährigen Armeezeit angesprochen worden, ob ich nicht zum Ministerium für Staatssicherheit kommen wolle. Über konkrete Aufgabenbereiche, also wo ich eingesetzt werden würde, wurde im Vorfeld nicht gesprochen. Ich bin dann 1984 bei der Abteilung XX/2 der MfS-Bezirksverwaltung Berlin gelandet. Meine Einheit saß in Friedrichsfelde.
Worin bestand deren Aufgabe?
Die Abteilung XX/2 war zuständig für „negative Jugend“, ganz allgemein. Ein Schwerpunkt waren Punks, ein anderer der rowdyhafte Fußballanhang. Das Referat 2 hatte vierzehn, fünfzehn Mitarbeiter, vier davon kümmerten sich um die Berliner Fußballfans.
Um die Hooligans?
Ja, um die gewalttätigen Fußballfans. In der DDR hießen die nicht Hooligans, sondern Fußballrowdys.
Um die Berliner Rowdys kümmerten sich vier hauptamtliche Stasimitarbeiter?
Ja, zwei waren für die des BFC Dynamo zuständig, zwei für Union. Von den vier war ich der einzige, der sich nicht für Fußball interessierte. Die BFCer waren auch BFC-Fans. Im ersten Jahr war ich für die BFC-Fans zuständig, danach für die Unioner. Das heißt, ich war bei jedem Spiel dabei, ob zu Hause oder auswärts.
Der Spielplan war quasi ihr Dienstplan?
Sozusagen, ich habe höchstens mal im Urlaub ein Spiel verpasst.
Wie muss man sich Ihren damaligen Job vorstellen. Haben Sie und ihr Kollege sich unter die Fans im Stadion An der Alten Försterei gemischt?
Nein. Es gab einen festen Raum im Stadion, eine Art Blechkasten neben der Tribüne, von wo aus wir die Fans während des Spiels beobachtet und auch fotografiert haben. Zusammen mit der Polizei.
Das wusste jeder?
Ich denke schon. Bei Union gab es wie bei allen Oberligavereinen Leute, die für die Kommunikation mit den Fans und für Sicherheit zuständig waren. Die waren unsere Ansprechpartner. Beim BFC Dynamo lief es im Prinzip genauso. Da saßen die beiden Kollegen halt im Jahn-Sportpark.
Können Sie Ihren Auftrag beschreiben, ganz generell?
Wir sollten vor allem vorbeugend tätig werden. Auch in der DDR hatten sich Fußballfans in den Achtzigern oft zu Prügeleien verabredet. Wir versuchten Informationen zu kriegen, wo sich Randale anbahnt. Wenn wir es mitbekamen, gaben wir das weiter an die Volkspolizei in Berlin oder in den betreffenden Städten. Manchmal wusste man ja auch aus Erfahrung, dass es in Dresden immer da kracht und in Leipzig immer dort. In den Städten gab es außerdem Mitarbeiter in den MfS-Bezirksverwaltungen, mit den wir uns natürlich im Vorfeld der Spiele austauschten: Wie sind „unsere“ Fans gerade drauf? Wie brisant ist das Spiel, wie könnten die Reaktionen der Fans auf das jeweilige Ergebnis aussehen?
Wer hatte den Hut auf im Kampf gegen die Fußballrowdys – das MfS oder die Polizei?
Die Volkspolizei. Wir haben Beweismaterial zugeliefert und die Rowdys maximal zur Polizei vorgeladen, aber keine Verhaftungen durchgeführt oder Prozesse initiiert. Hausbesuche bekamen bestimmte Fans ebenfalls von den Polizisten. Wir sind erst aktiv geworden, wenn wir intensive Kontakte einiger Fußballfans nach außen festgestellt haben, die extrem rechts gerichtet waren.
Was heißt das?
Unser Hauptaktionsfeld war nicht zuerst die Gewaltbereitschaft der Hooligans, sondern das, was sich daraus entwickelte.
Wenn im Stadion Sprechchöre kamen wie „Die Mauer muss weg“?
Die habe ich selbst nie gehört. Aber bei solchen Sprechchören wurde noch nicht eingegriffen. Das wurde in unseren Berichten notiert und unter uns eingeordnet: Kommt das von einer Person, um die wir uns Sorgen machen müssen oder hat da nur einer seinen Frust abgelassen.
Was heißt Sorgen machen?
Es gab in den Achtzigern in der DDR Fußballfans, die sich in eine bestimmte Richtung entwickelten, die zu Rechtsradikalen wurden. Die Fanblöcke in den Stadien waren der Ort, wo die Rechten ihr Personal rekrutierten.
Die Stasi fürchtete die Hooligans weniger als Bürgerschrecks, mehr als politische Abweichler?
Für uns lag das Hauptproblem in der Gefahr der politischen Ausrichtung dieser Leute. Für uns waren vor allem die Fans relevant, die es an den rechten Rand zog.